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Von Undine Zimmer: Goldwasser und Vorstadtdichter

Peter Oliver Loew lädt zu acht literarischen Stadtspaziergängen durch Danzig ein

Stand:

„Im sonnigen Glanz, bei des Mondlichtes Schein / Die Stadt ist ein lebend Gedicht / Auf dunkler Flut fahren Schiffe darein; / Venedig ist schöner nicht“, schwärmte der Dichter und Journalist Albert Wiek 1915 über Danzig.

Auch Joseph von Eichendorff beschwor schon 1842 den Mond über den nächtlichen Straßen. Man lobte allgemein die Schönheit der Stadt und ihr kulturelles Leben in den zahlreichen Cafés und auf der Pferderennbahn. 100 Jahre später war der Glanz vergangen und Pablo Neruda nannte das zerstörte Danzig eine „irrzerfetzte Rose“, eine Stadt „kugeldurchsiebt vom Krieg“.

Trotz dieser Verwundungen hatten Spaziergänge durch Danzig immer etwas Reizvolles. Unter dem Titel „Danzig. Acht Stadtspaziergänge“ hat der Peter Oliver Loew nun einen literarischen Reiseführer in der Potsdamer Bibliothek des Deutschen Kulturforums Östliches Europa veröffentlicht.

Für jeden einzelnen der acht Spaziergänge durch Loews literarisches Danzig sollte der Leser sich viel Zeit nehmen und sich darauf vorbereiten, dass von der historischen Stadt heute oft nur noch Spuren zu finden sind. Wer Danzig schon persönlich kennt, seine Wahrzeichen, wie die Werft, die Altstadt, den Neptunbrunnen, den Stockturm und den Kohlenmarkt selbst gesehen hat, kann sich auch im Ohrensessel wieder auf die Reise machen. Für alle Ortsunkundigen bleibt Loews Danzig jedoch ein Labyrinth und eine Schnitzeljagd aus literarischen Zitaten.

Danzig ist berühmt für seine zahlreichen verwinkelten und engen Gassen, den Zuckerhandel sowie das Danziger Goldwasser, ein starker Likör mit Goldpartikeln, der seinen Weg auch in die Texte von E.T.A Hoffmann gefunden hat. Bekannt ist die Stadt auch für seinen Hafen und nicht zuletzt für das laute Gefeilsche auf den Märkten: „Danzjer Fischfrau’n! En Kapitel fier die Forschung riesengroß!“, frotzelte Jürgen Pinnow 1997 in „Tausend Worte Danzigerisch“.

Reiseführer Peter Oliver Loew kann die literarische Bedeutung der Marktweiber nur bestätigen. Schließlich war eine von ihnen Anna Bronski, die Großmutter von Oskar Matzerath, des kleinwüchsigen Helden aus Günter Grass’ Roman „Die Blechtrommel“. Dieser Oskar Matzerath mit seiner rotweißen Trommel begegnet einem auf den Spaziergängen mit Loew immer wieder. Darauf sollte der Leser sich gefasst machen.

Die acht Rundgänge orientieren sich an den Stadtvierteln Danzigs, die sich nicht nur durch ihre Lage und ihr Äußeres, sondern offensichtlich auch durch ihre Bewohner unterscheiden: Kaufleute und Ratsherren in der Reichsstadt, Seemänner, Handwerker und Arbeitslose auf der Langen Brücke.

Während fünf der Spaziergänge die Innenstadt erkunden, verlaufen drei Routen außerhalb der Stadttore, entlang der Weichsel bis ans Meer oder in die Vorstadt der Dichter. Der siebte Spaziergang nimmt seinen Ausgangspunkt in Langfuhr, auf dem Labesweg Nummer 13 vor der braunen Tür eines grauen Hauses, dem Geburtshaus von Günter Grass.

Diese Dichterrunde ist hauptsächlich dem Autor Grass gewidmet, der für Loew als der Danzigautor schlechthin gilt. In Langfuhr folgt der Leser nun den Spuren von Grass’ verschiedenen Lebensorten, den Schauplätzen seiner bekanntesten Romane. Und Loew verrät seinen Lesern, dass sich hinter Grass Gedicht „Kleckerburg“ keine andere Stadt als Danzig verbirgt.

Aber auch andere Autoren hat es in diese Gegend verschlagen. Einer von ihnen war der polnische Schriftsteller Stanislaw Przybyszewski, der etwas abseits, unweit der Eisenbahnbezirksverwaltung lebte. Nach seinen wilden Jahren in Berlin war er arm nach Danzig zurückgekehrt. Gelangweilt musste er sich mit einem Beamtenposten finanzieren, der ihm, wie er klagte, jegliche Motivation zum Schreiben nahm.

Von dort aus geht es weiter zu den ehemaligen deutschen Friedhöfen an der Großen Allee, die heute als Parkanlagen begehbar sind. Grass hat sie in „Unkenrufe“ verewigt. Weiter geradeaus, hinter dem deutschen Konsulat in der Krusestraße befindet sich die Schiffbauschule, an der Grass seine Schulzeit verbracht hat. Bis heute ist das Gebäude unter dem Namen Conradium bekannt. In „Mein Jahrhundert“ hat Grass das bunte Treiben in den Pausen festgehalten. „Unsere Pausenhofspiele endeten nicht mit dem Klingelzeichen, sondern wurden unter Kastanienbäumen und vor dem einstöckigen Toilettengebäude, Pißbude genannt, von Pause zu Pause fortgesetzt.“

An der Ecke Prinzenweg / Marchauer Weg begegnet der Spaziergänger einem weiteren bekannten Dichter-Kollegen. Joseph von Eichendorff hat einige Sommer im Gasthaus Silberhammer verbracht. Seinen Roman „Aus dem Leben eines Taugenichts“ soll er hier vollendet haben.

Aber spätestens an der Herz-Jesu Kirche befindet sich der Leser wieder in Loews „Grass-Land“. Die wichtigsten Schauplätze der „Blechtrommel“ folgen dicht aufeinander. In besagter Kirche wartete Oskar Matzerath vergeblich auf ein Wunder und hing dem Jesus seine Trommel um. Jesus weigerte sich jedoch zu spielen und Oskar machte stattdessen seine ersten erotischen Erfahrungen.

Eine Ecke weiter, im so genannten Unteren Langenfuhrt, befindet sich gleich hinter dem Bahnhof der Marktplatz, auf dem Oskars kaschubische Großmutter sich heiße Ziegel unter die vier Röcke schieben ließ, wenn sie dort im Winter frische Eier, Gänse und Butter verkaufte. Am Neuen Markt begegnet der Spaziergänger schließlich Oskar Matzerath leibhaftig. In Bronze gegossen sitzt der Winzling, stellvertretend für seinen Meister, am Rande des Platzes auf einer Bank.

Zum Abschluss der Runde nimmt Loew seinen Leser mit in die Osterzeile, den Schauplatz von Grass Roman „Katz und Maus“ und entlässt ihn mit Blick auf ein kleines Gewässer, das in demselben Roman eine Rolle spielt: „Mehrmals standen wir auf Brücken über dem Stießbach, einem Rinnsal voller Blutegel.“ Hier, wo Grass seine Helden Schnecken und anderes Getier suchen ließ, endet Loews „Grass-Land“.

„Eine Stadt wie ein Buch“ hat Loew sein Danzig auf der ersten Seite angekündigt. Auf der letzten Seite ist der Leser zwar erschöpft von der Fülle der Begegnungen mit fremden und bekannten Romanfiguren, hat aber das Gefühl, in etlichen Geschichten selbst anwesend gewesen zu sein.

Peter Oliver Loew: Literarischer Reiseführer Danzig. Acht Spaziergänge. Potsdam 2009, Deutsches Kulturforum östliches Europa, 408 Seiten mit zahlreichen farbigen und Schwarz-Weiß-Abbildungen, Kurzbiografien, Zeittafel, umfangreichen Registern und zweisprachigen Karten, 19,80 Euro

, ine Zimmer

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