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Kultur: Göttlich in Schwarzlicht
„Inferno Nr. 9“ mit der Theatergruppe Flutlicht
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Alles ist in schwarzes Nichts getaucht. Kein Licht erhellt die Bühne und doch gibt es so viel zu sehen. Weiße Handschuhe fliegen wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen durch die Luft, in Weiß gekleidete Menschen werden vom Wind hin- und hergetragen und verlorene Seelen treiben scheinbar unkontrolliert umher. Bei der Premiere von „Inferno Nr. 9“ der Theatergruppe Flutlicht wurde am vergangenen Freitag im T-Werk mit dem Sehen und vor allem auch mit dem Nichtsehen gespielt. Eine wundervoll inszenierte Reise in ein Jenseits voller Schwärze und Licht.
Was Dante Alighieri selbst zu so einer Inszenierung seines Stoffes gesagt hätte, weiß man nicht. Denn schon alleine die Annäherung an eine durchaus schwere Kost wie seine „Göttliche Komödie“ (La divina commedia) ist meist kein komisches, sondern eher ein tragisches Unterfangen. Doch den jugendlichen Schauspielern von Flutlicht, einer Theatergruppe des Offenen Kunstvereins Potsdam, gelang es vom ersten düsteren Moment an, die Zuschauer mit auf die Schwarzlichtreise ins Jenseits zu nehmen. Frei nach Alighieris „Göttlicher Komödie“ erzählten sie die Reise von Dante (Lasse Möbus), der, vom rechten Pfad abgekommen, gemeinsam mit seinem Mentor, dem Dichter Vergil (Jan Zschau), eine Reise durch die Vorhölle und die neun Kreise der Hölle antritt. Im Limbus, der Vorhölle, trifft Dante auf die Philosophen und Dichter, die von einem hinreißend nervigen Aristoteles (David Vagt) mit dem Philosophieren über alles und jeden geplagt werden. Im ersten Höllenkreis treffen die verlorenen Seelen auf Minos (Bartholomäus Baumberg), dem sie ihre Sünden beichten müssen, um dann gerichtet in einen der Höllenkreise hinüberzugehen. Im zweiten Höllenkreis begegnet Dante den Wollüstigen und im dritten Kreis den Gefräßigen. Wer bis hierhin noch nicht völlig in der Geschichte aufging, konnte sich spätestens jetzt nicht mehr dem liebvollen Schauspiel entziehen. Und so setzt Dante seine Reise durch die Höllenkreise fort und entdeckt in jedem eine andere Art wahrlicher Boshaftigkeit, um am Ende geläutert mit seiner Geliebten Beatrice (Lara Cavas) zu entkommen.
In „Inferno Nr. 9“ ist der Stoff Dantes unter der Regie von Nikki Bernstein und Nora Raetsch zu einem wundervollen eigenständigen Stück geworden. Die düstere Stimmung, die nicht nur von der schwach beleuchteten Bühne, sondern auch von den noch jungen Schauspielern vermittelt wurde, hielt über die ganze Zeit dieser knapp 50-minütigen Aufführung die Spannung hoch. Dank immer wieder hervorstechender grausiger Effekte – es war tatsächlich ein kleiner Schock, als Filippo Argenti (Erik Braun) eine Hand und einen Fuß verlor – troff aus jeder Szene eine komödiantische Schwärze. Ein solches Stück mit einer Schwarzlichtbeleuchtung zu inszenieren, war nicht eine gute, sondern eine brillante Idee. Eine einsame Unterhose, die vom Wind umhergetragen wird, war dabei nicht der einzige Glanzpunkt eines liebevollen und überaus detailreichen Bühnenbildes (Bühne: Jenny Bellmann), das in der Inszenierung eines Jugendtheaterstücks definitiv seinesgleichen sucht. Aufwendig gestaltete Kostüme (Kostüm und Maske: Ekaterina Deynega und Diaria Malygina) verliehen der ganzen Jenseitsreise eine künstlerische Nuance.
War Dantes „Göttliche Komödie“ als sehr persönliche Erfahrung gedacht, schafften es die jungen Schauspieler, beim Zuschauer ein wunderbar ungutes Kribbeln in der Magengegend zu verursachen, das größtenteils der schaurig schönen Inszenierung zu verdanken war. Das Spiel auf der Bühne wurde auch gleichzeitig zum Erlebnis jedes Einzelnen im Saal. Chantal Willers
Chantal Willers
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