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Kultur: Grand Signeur

Wapnewski beeindruckte im Literaturladen Wist

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Wenn einer einen Harvard-Lehrstuhl ausschlägt, dann muss er Gründe dafür haben. Welche das waren, haben die eng gedrängt Sitzenden von dem großen Germanisten Peter Wapnewski, der den SFB-Hörern mit seinen Sendungen über Richard Wagner in lebendiger Erinnerung ist, am Mittwochabend nicht erfahren. Dafür aber exklusiv viele andere Dinge, die nicht alle in seiner Autobiographie „Mit dem anderen Auge“ stehen. Zunächst einmal übte sich der Mittelalter-Spezialist in Bescheidenheit und sagte, es sei seltsam, wenn einer wie er eine Autobiographie schreibe. „Ich habe die Welt nicht verändert“, betonte er. Aber seine Zeitzeugenschaft schien ihm dann wohl doch Berechtigung genug. „Wir sind Trödler des Unbegreiflichen“ zitierte er Hans Sahl. Und wirklich: Selbst der Passus aus der „nicht großbürgerlich, aber kleinbürgerlich war das ja auch nicht“-Umgebung seiner Kindheit in Kiel entführte in eine andere Welt.

Der weiße Matrosenanzug mit der so kompliziert zu knüpfenden Fliege war jedes Mal eine Prüfung, die der Junge nicht bestand, weil der Halsschmuck gleich „grau und verknittert“ wurde. An dieser Stelle hob der Herr im 84. Lebensjahr den Kopf und sagte: „Lassen Sie mich gemeinsam mit Ihnen ein wenig über den Anzug philosophieren.“ Zwar habe er die Fliege nicht gemocht, aber man habe damit schließlich den Sonntag geehrt. Solche Unterscheidungszeichen zwischen Alltäglichkeitslast und Besonderem seien wichtig, habe aber sehr an Bedeutung verloren. Selbst in Prüfungen säßen heutzutage die Kandidaten mit den „Sportschuhen, die den Namen der griechischen Göttin Nike tragen“. Über Fußball wolle er gar nicht reden, ermahnte er sich selbst, und die wenigen Bemerkungen darüber ließen ebenfalls einen Verfall der Sitten erkennen. Das mag nun auch mit dem Jahrgang 1922 verbunden sein, betonte der emeritierte Profossor mehrmals und meinte damit nicht nur sein schlechteres Gehör, sondern vor allem die Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus. Bewegt erzählte er über den Hausbrand, aber noch bewegter wurde er, als er das Schicksal seines Freundes, des vergessenen Schriftstellers Horst Lange referierte, den er als Verwundeter im Lazarett 110 in Berlin kennen lernte. Seine eigene Verwundung – ein Splitter in einem Auge – brachte ihn dahin und hat ihm gleichzeitig wohl das Leben gerettet.

Von Hendrik Röder dazu gedrängt, gab Wapnewski zuletzt noch die Zeit seiner drohenden Verhaftung preis. In einer Kneipe am Kudamm habe er nämlich seine Meinung über Hitler kundgetan und hätte verhaftet werden sollen. Dass das nicht geschah und er davongekommen sei – im Gegensatz zu anderen – würde er gerne jemandem danken, wenn er nur wisse, wem. „Das war keine Heldentat“, betonte der Gentleman, und erinnerte an den genial talentierten Karlrobert Kreiten, der für eine ähnliche Unbedachtheit gehängt wurde.

Danach fiel es Moderator Röder schwer, wieder eine unbeschwerte Stimmung zu produzieren. Aber das musste ja auch nicht sein. Das Publikum war sichtlich gerührt und dankte Wapnewski mit langen Applaus. Lore Bardens

Lore Bardens

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