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Im Netz verstrickt. Nora Decker (Sarah), Friedemann Eckert (Olaf) und Lea Willkowsky (Marie) in „Netboy“ (v.l.n.r. ).

© HL Böhme

Kultur: Grauzonen des Lebens

Das Jugendstück „Netboy (13+)“ wird am Dienstag am Hans Otto Theater uraufgeführt

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Sie leben ein Leben in zwei Welten. Ein Gesicht, das sie jeden Tag tragen und die Maske, die sie sich im Internet erschaffen haben. Für viele Jugendliche ist der Umgang mit dem Netz heute beinahe lebensnotwendig. Soziale Netzwerke verdrängen Freundschaften immer mehr ins Virtuelle. Die Realität gerät zusehends in den Hintergrund, es entstehen zwei Sphären mit ihren jeweils eigenen Herausforderungen. Mit „Netboy“ bringt das Hans Otto Theater ein Stück auf die Bühne, das zeigt, wie unmittelbar beide Welten dennoch miteinander verwoben sind. Am morgigen Dienstag wird es in der Reithalle uraufgeführt.

„Jugendliche in der Pubertät sind meistens verwirrt oder größenwahnsinnig. Oder sogar beides. Das ist das Schreckliche an dieser Phase des Lebens.“ Regisseurin Aurelina Büchner war von dem Text von Petra Wüllenweber, der erst Anfang dieses Jahres erschienen ist, sofort tief berührt. „Netboy“ ist die Geschichte von Marie. Sie ist beliebt in der Schule, hat viele Freunde und eigentlich könnte ihr Leben kaum besser sein. Doch plötzlich eröffnet der Vater ihr, dass er mit seiner neuen Freundin in eine andere Stadt umzieht. Für Marie ist das ein schwerer Schlag. Tief getroffen wendet sie sich dem einzigen Ort zu, an dem sie sich Hilfe verspricht: dem Internet.

Im Chatroom „MeetYou“ lernt Marie den selbstbewussten, aber sensiblen Chatpartner Netboy kennen. Schnell vertraut sie sich dem Fremden an, gibt viel von sich preis, während er die Jugendliche mit passenden Kafka-Zitaten immer tiefer in seinen Bann zieht. Von ihm angestachelt, findet Marie den Mut, sich gegen die Schikanen ihrer Chemielehrerin, denen sie jeden Tag ausgesetzt ist, zu wehren. Doch Netboy spielt ein perfides Spiel und stellt Fotos von Marie ins Internet, auf denen zu sehen ist, wie sie sich mit einem harmlosen Streich an ihrer Lehrerin rächt. Für alle – ihre Freunde und Lehrer – wird sichtbar, was Marie getan hat und mit einem Mal verliert sie alles. Ihre Freunde wenden sich ab, behandeln sie wie eine Ausgestoßene. Marie wird schnell deutlich: Die Grenze zwischen der virtuellen und der realen Welt ist nicht so klar zu ziehen, wie sie anfangs dachte. Und wer ist eigentlich Netboy?

Mobbing ist der neue Name für ein altes Problem. Viele kennen das Gefühl, von jemandem schikaniert zu werden. Doch gerade unter Jugendlichen kann das Phänomen schnell eskalieren – auch dank des Internets. „Kommentare sind im Internet schnell geschrieben und haben immer etwas Unpersönliches. Für den Betroffenen sind die Folgen allerdings direkt und unmittelbar“, sagt Regisseurin Aurelina Büchner. „Niemand kann sich dem entziehen.“ Besonders die Sorglosigkeit, mit der Jugendliche heute an das Leben im Internet auf diversen Plattformen sozialer Netzwerke und Chaträumen herangehen, habe sie schockiert.

Mit dem Thema des Stücks versucht Aurelina Büchner nicht nur, die jugendlichen Zuschauer zu sensibilisieren, sondern sie will vor allem auch der Elterngeneration einen Zugang zur Problematik des Cyber-Mobbings eröffnen. „Viele Jugendliche sitzen allein in ihren Zimmern, in einem ganz privaten Raum, sind sich der Öffentlichkeit der Dinge, die sie ins Netz stellen, aber gar nicht bewusst. Das ist eine merkwürdige Zweierbeziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre.“ Ein Spagat, der nicht allen gelingt. Denn was erst einmal in die Welt des virtuellen hinausgeschickt wurde, ist nie wieder einzufangen.

Für Aurelina Büchner war besonders die Umsetzung des Stücks eine Herausforderung. Um ein im Internet geführtes Gespräch auf die Bühne zu bringen, waren besondere technische Vorausstetzungen nötig. Und obwohl es von vorneherein als Theaterstück geschrieben war, erforderte es einiges Umdenken, das Stück nach ihren Vorstellungen zum Leben zu erwecken. Die Vorteile einer Uraufführung weiß Aurelina Büchner auch deswegen besonders zu schätzen: „Wir können uns zwar an keiner anderen Inszenierung orientieren, können deswegen aber auch vollkommen offen arbeiten. Und wir setzen jetzt Maßstäbe!“

In einer kurzen und raschen Szenenabfolge will die Regisseurin den Bogen der Geschichte nicht nur über die virtuelle Welt spannen, in der sich Marie zu verlieren droht, sondern mit dem Freundeskreis und dem Elternhaus alle Teile von Maries Leben mit einbeziehen.„Für Jugendliche besteht das Leben ja nicht nur aus Internetchats. Es gibt viele Schauplätze, die bespielt werden müssen“, erklärt Aurelina Büchner. Die verschiedenen Ebenen gehören zusammen, um die Kompliziertheit eines einzelnen Lebens widerzuspiegeln. Ein Leben, das nicht nur virtuell oder real, sondern für die meisten Menschen immer eine Verstrickung aus beidem ist. Denn nie gebe es schwarz oder weiß, so die Regisseurin, nie nur richtig oder falsch. Das Leben in beiden Welten enthalte nämlich auch immer gewisse Grauzonen.

Premiere: 15. Oktober, 18 Uhr, Reithalle Schiffbauergasse, Aufführungen bis 26. November; Kartenservice Tel.: (0331) 98 11-8

Chantal Willers

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