Kultur: Grelle Farce
Begeistert aufgenommene Premiere von Molières „Der eingebildete Kranke“ am Schlosstheater
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Begeistert aufgenommene Premiere von Molières „Der eingebildete Kranke“ am Schlosstheater Von Dirk Becker Beim Klistier hört jede Freundschaft auf. Was von Meisterhand komponiert, ein Einlauf nach allen Regeln der medizinischen Kunst gemixt, um die Unruhe aus den Därmen zu fegen, da werden keine Widerworte geduldet. Der Arzt weist an, der Patient hat zu folgen. Und Argan folgt nur zu gern. Pillen, Tröpfchen und unzählige Einläufe, was ihm die Ärzte verschreiben, das saugt er auf wie ein Schwamm. Denn Argan leidet. Zwar nur an Einbildungen, doch auch die müssen therapiert werden. Doch als Argan, unverschuldet, einer ärztlichen Anordnung nicht Folge leistet, trifft ihn mit aller Macht der Zorn des stolzverletzten Medicus. Und was da auf ihn niederprasselt, dagegen nimmt sich jeder noch so teuflische Einlauf wie Weihwasser aus. Jean Baptiste Molières Komödie „Der eingebildete Kranke“ jetzt wieder auf die Bühne zu bringen, der Zeitpunkt kann nicht besser gewählt sein. Gesundheitsreform, Praxisgebühr und Ärzte, die selbst mit Toten noch kräftig Kasse machen, Molières letzte, 1673 uraufgeführte Komödie, scheint nicht an Aktualität eingebüßt zu haben. Schon damals galt seine Kritik Medizinern, die für jedes Wehwehchen einen Spruch und ein entsprechendes Heilwässerchen zur Hand hatten, sofern des Patienten Geldbeutel immer prall gefüllt war. Regisseur Philippe Besson, Leiter der Sparte Kinder- und Jugendtheater am Hans Otto Theater, hat Molières Dreiakter für das Schlosstheater im Neuen Palais bearbeitet. Am Sonnabend feierte „Der eingebildete Kranke“ vor ausverkauftem Haus Premiere. Und es wurden zwei kurzweilige und wundervolle Stunden. Besson hat für seine Bearbeitung Molière selbst aus dem Französischen übersetzt. Dabei scheint er sich an der Übertragung von Johanna und Martin Walser orientiert zu haben. Für die Rolle des leidenden Argan, der, um der horrenden Arztrechnungen Herr zu werden, seine Tochter gegen ihren Willen mit einem Arzt verheiraten will, hat er Ursula Karusseit verpflichtet. Eine Frau in einer Männerrolle? Dass Besson sich für die Karusseit entschied, war, gelinde ausgedrückt, der reinste Glücksgriff. Die Karusseit war für diese Rolle schauerlich zurecht gemacht. Ein dickes, blasses Wesen im Unterrock, die Haare gerupft, als hätte hier der Schnitter höchstpersönlich mit der Sense nachgeholfen. Darunter das Gesicht einer verbitterten Bulldoge, saß, lag oder wandte sie sich auf einem mächtigen, thronartigen Stuhl in der Bühnenmitte. Und der Schauspielerin gelang dabei einfach alles. Ob Argan über seine angeblichen Leiden klagte, seine Umgebung tyrannisiert, um die Liebe seiner zweiten Frau wie ein Schoßhündchen bettelte oder kniefällig der Medizinerschar mit den wohlklingenden Namen wie Monsieur Diarrhöes, Monsieur DuSchroepff oder Monsieur Clisthier huldigte, Ursula Karusseit war der reinste Wirbelwind, der durch die zahlreichen Charakterfacetten des verachtenswerten aber gleichzeitig mitleiderregenden Argan tobte. Und ihr furioses Spiel schien anzustecken. Argans Gegenpart ist die Dienerin Toinette. Ein vorlautes, nicht auf den Kopf gefallenes, durchtriebenes Frauenzimmer, das als einzige im familiären Chaos den Überblick behält und geschickt Intrigen spinnt, um so doch noch ein glückliches Ende zu bewirken. Katja Heinrich als Toinette war einfach brillant. Ein Teufelchen mit roten, aufgetürmten Haaren, stakste und quietschte sie, marionettengleich, über die Bühne und zauste sich mit Argan, dass es nur so eine Freude war. Und auch die übrige Schar musste man einfach mögen. Ob Tochter Angélique (Marie-Luise Lukas), die ihrem Vater den kostengünstigen Mediziner ins Haus holen sollte, Argans zweite Frau Béline (Rita Feldmeier), die sich als Erbschleicherin entpuppt oder die schaurige Ärzteschar (Hans-Jochen Röhrig, Ronald Funke, Peter Pauli), der man nicht einmal die ungeliebte Schwiegermutter anvertrauen würde, sie alle machen das Stück zu einem wunderbaren Theatererlebnis. Die Ausstattung der Bühne (Henrike Engel) bleibt aufs Wesentliche reduziert. Besagter Stuhl, dahinter eine Wand, die sich ab und an in ein riesenhaftes Röntgenbild verwandelt. Zweimal öffnet sie sich: Wenn Argan der Fluch des beleidigten Medicus trifft, und wenn die Komödie ihren eigenwillig-turbulenten Höhepunkt feiert. Die Aufmerksamkeit wird auf die bunten, grotesk überzeichneten, puppenhaften Kostüme (Henrike Engel) gelenkt. Grelle Schminke, verdrehte Frisuren, erst die Kostümierung macht diese Inszenierung komplett zur herrlichen Farce. Blass und farblos dazwischen nur der Unglücksrabe Argan. Doch was dem an sichtbarer Farbe fehlt, das bringt die Karusseit mit ihrem Spiel wie mit einem dicken Pinsel. Am Schluss ein ausgelassen-begeistertes Publikum. Noch sechs Vorstellungen sind für Bessons Inszenierung vorgesehen. Sechs Vorstellungen, um deren Karten man sich wirklich reißen sollte.
Dirk Becker
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