Kultur: Grenzen der Darstellung
Filmische Provokationen bei „Sehsüchte“
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Ein Mann schmiert sich ein Frühstücksbrot. Sein Gesicht ist nicht zu sehen. Leicht dickliche Finger betasten in Großaufnahme Messer und Kaffeetasse. Aus dem Off eine brüchige Stimme: „Es war schon früh klar, dass mich die Welt der Kinder mehr anspricht, als die der Erwachsenen.“ Markus, so nennt sich der Protagonist des Dokumentarfilms „Kein Kinderspiel“, empfindet sexuelle Anziehung zu kleinen Jungen. Gestern wurde der Film auf dem „Sehsüchte“-Festival im Filmblock „Zündstoff“ gezeigt. Die studentische Programmgruppe hatte nach provokativen Filmen gesucht. So möchte Markus seine Sexualität unter keinen Umständen ausleben. „Wen man liebt, dem möchte man keinen Schaden zufügen“, sagt der Pädophile. Er meint damit Kinder. Dennoch: Sein „Traumtyp“, wie er sich ausdrückt, ist etwa neun Jahre alt.
Die Programmgruppe des Festivals hat sich alle Mühe gegeben, mit dem Filmblock „Zündstoff“ das Publikum zu provozieren. „Es sollten kontroverse Filme sein“, sagte Andy Räder von der Auswahlgruppe. Alle drei gezeigten Filme hatten dokumentarischen Charakter. Und alle drei gehen, so meinte der HFF-Student, an die Grenze des Darstellbaren. Bei „The Safety in Rubber“, schmunzelte Andy Räder, würden bestimmt einige Zuschauer den Saal verlassen. Und er behielt recht. Als die Ein-Mann-Produktion des israelischen Filmemachers Amit Itzcar gezeigt wurde, huschten Schatten über die Leinwand. Der Inhalt des Films: 14 Minuten Sex mit einer aufblasbaren Gummipuppe.
„Sex sells“, so hätte das Motto der beiden Filme sein können. Auch das „Cineastische Quintett“, das die Festival-Macher zur Diskussion geladen hatte, stürzte sich schnell auf den pädophilen Markus und die Körperflüssigkeiten auf Gummi. Dabei geriet der Film von Gali Weintraub beinahe in Vergessenheit.
Die Regisseurin, die aus Tel Aviv angereist war, ist seit ihrer Geburt schwer behindert. In ihrem Film „You wanted to make a film?“ vermischen sich zwei Erzählstränge: So wollte die zierliche und zurückhaltende Weintraub ursprünglich einen Film über eine körperbehinderte Tänzerin drehen. Doch Weintraub, so wurde deutlich, fand keinen Draht zu der energischen Zehava und ihrem Tanzpartner Oren. Es kam zum Zerwürfnis zwischen der Regisseurin und ihren Protagonisten. Aus der Dokumentation über das Tanzen wurde eine Dokumentation über das Scheitern des Films.
Immer mehr drängt sich die Regisseurin in den Vordergrund des Films. „Ich sollte nur Werbung für Zehava und Oren machen“, erklärte Weintraub in Potsdam. Indem ihre Dokumentation immer mehr sie selbst und ihren Kampf um einen erfolgreichen Film thematisiert, handelt der Film aber vor allem von sich selbst. Und von Weintraub, einer Regisseurin, die im Scheitern erfolgreich war und um Anerkennung kämpfte. Woran aber die ursprünglich geplante Dokumentation scheiterte, ließ sich gestern nicht mehr klären: Für sie sei das immer noch ein Film über Behinderte, nichts weiter, so Weintraub. Das Publikum stutzte. Es klang wie eine Provokation. Mark Minnes
Mark Minnes
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