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Der Mensch in Ausnahmesituationen. Wie hier Don Carlos (Dennis Herrmann) und Prinzessin von Eboli (Meike Finck) in Schillers „Don Carlos“, der auch in der kommenden Spielzeit wieder im Hans Otto Theater zu erleben ist.

©  HL Böhme

Kultur: Grenzen und Fragilität

Drei Uraufführungen und insgesamt 21 Neuinszenierungen spielt das Hans Otto Theater 2012/2013

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Die Geschichte ist bekannt. Drei junge Menschen, die mit dem bundesdeutschen Demokratieverständnis nicht einverstanden sind, sich ein krudes Ideal aus nationalsozialistischem Gedankengut schaffen, glauben, dass sie diese Gesellschaft nur mit Gewalt überwinden können und sich für den Terror entscheiden. Doch die Rede ist hier nicht von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und deren Zwickauer Terrorzelle mit dem selbst gewählten Namen Nationalsozialistischer Untergrund. Hier geht es um Manuela Kaltmeister, ihren Bruder Mauritz Kaltmeister und um Wiggo Ritter aus Uwe Tellkamps Roman „Der Eisvogel“.

Tellkamps „Der Eisvogel“, in einer Bühnenbearbeitung von Ute Scharfenberg, wird am 28. September die Spielzeit 2012/2013 am Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse eröffnen. Mit „Der Eisvogel“ sind drei Uraufführungen und insgesamt 21 Neuinszenierungen vorgesehen, wie Theaterintendant Tobias Wellemeyer auf einer Pressekonferenz am gestrigen Mittwoch erklärte. Sechs der geplanten Neuinszenierungen sind im Kinder- und Jugendtheater zu erleben. Wellemeyer, seit Sommer 2009 Intendant und Regisseur am Hans Otto Theater, sagte, dass mit den Inszenierungen der kommenden Saison vor allem Fragen nach den Grenzen und der Fragilität von Demokratie gestellt werden sollen. Wie man mit ihr umgehe und wie in unserer Zeit der Internationalisierung und Entgrenzung noch Zugehörigkeit und Herkunft definiert werden. Von Gedankenspielen mit Lebenswegen und Biografien sprach Wellemeyer. Eines dieser Gedankenspiele liefert Uwe Tellkamp mit „Der Eisvogel“.

Wiggo Ritter, Sohn eines Bankers, dessen Vorbild er nicht folgen will, der als Student der Philosophie scheitert, lässt sich in seiner Perspektivlosigkeit von den Geschwistern Kaltmeister und ihrem elitären Kastendenken beeindrucken. „Es geht um einen sensiblen jungen Mann, der nach und nach in den Bann eines demokratiefeindlichen Kreises gerät“, wie Wellemeyer sagte. Ein hochsensibles, literarisches Zeitporträt, dass die schleichende und von vielen unbemerkte Radikalisierung in der Mitte unserer Gesellschaft zeigt und durch die Zwickauer Terrorzelle um Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine besondere Brisanz erfährt. Und so ist diese Uraufführung und Eröffnung der Spielzeit auch als Fingerzeig des Hans Otto Theaters zu verstehen, das eben nicht auf das Gefällige und Bekannte, sondern auf das Neue, gesellschaftlich Relevante und so auch auf das Provokante setzt. Gleichzeitig wird damit ein Programm fortgesetzt, das mit Tellkamps „Der Turm“ und Solschenizyn „Krebsstation“ begonnen wurde: Romane zum ersten Mal überhaupt auf die Bühne zu bringen, deren Geschichten immer auch aktuelle Probleme und Entwicklungen berühren. Inszenierungen, die sich nicht scheuen auch dort hinzugehen, wo es wehtut.

Mit Henrik Ibsens „Der Volksfeind“, Yasmina Rezas „Drei Mal Leben“ und auch Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ wird dieses Schürfen und Freilegen gesellschaftlicher und psychologischer Schichten auch in der kommenden Spielzeit zu erleben sein. Doch wer durch das freundlich-sonnengelbe Spielzeitheft blättert, das auf den ersten Blick an das berühmte Reclam-Gelb erinnert, wird daneben eine breites und auch recht buntes Programm entdecken, das von Shakespeares „Wintermärchen“ und „Der Widerspenstigen Zähmung“ über Goethes „Torquato Tasso“ bis zu Steinbecks „Von Menschen und Mäusen“ reicht. In der Winteroper steht in diesem Jahr Glucks „Orfeo ed Euridice“ auf dem Programm, eine Inszenierung, in der erstmals die Kammerakademie Potsdam und das Staatstheater Cottbus zusammenarbeiten. Im Kinder- und Jugendtheater wird unter anderem Michael Endes „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ und Rudolf Herfurtners „Der König hinter dem Spiegel“ zur Premiere kommen.

Insgesamt 577 Vorstellungen hat das Hans Otto Theater im vergangenen Jahr auf die Bühnen gebracht, die von 117 000 Zuschauer gesehen wurden. Das entspricht einer Auslastung von 74 Prozent. „Die gleiche Auslastung wie am Deutschen Theater“, wie Wellemeyer betonte. Die Abonnementzahlen konnten um 500 auf 9500 erhöht werden, wobei mit 8200 Abonnements der Großteil bei den jungen Zuschauern im Kinder- und Jugendtheater, deren Vorstellungen allein fast 45 Prozent des Gesamtprogramms umfassen. Rund 9,9 Millionen Euro beträgt das Budget des Hans Otto Theaters. Für das, was geleistet und auch erwartet wird, sei das zu wenig, sagte Tobias Wellemeyer.

Dirk Becker

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