Kultur: Groß denken, groß irren
Peter Trawny untersucht Martin Heideggers zeitgeschichtliche Verstrickungen
Stand:
Seit im vergangenen Jahr Heideggers Schwarze Hefte mit ihren antisemitischen Äußerungen erschienen sind, war immer wieder die Forderung zu vernehmen, die Beschäftigung mit Heidegger aufzugeben – er sei nun erledigt. Die Frage, ob auch seine Philosophie eine innere Affinität zum Nazismus besessen hat, ist dabei schon früher untersucht worden, etwa von Emmanuel Levinas und Giorgio Agamben.
Beide heben hervor, dass Heidegger dem deutschen Volk eine historische Sonderrolle zuerkannte, und dass jedes Denken, das von Aufgaben einzelner Völker ausgeht, und sei es von einer Aufgabe innerhalb der Geschichte des Seins, unweigerlich sich in die Nähe zum Hitlerismus begibt.
Peter Trawny, Herausgeber der Schwarzen Hefte und Leiter des Heidegger-Instituts an der Universität Wuppertal, hat nun einen Essay vorgelegt, der seinerseits danach fragt, inwiefern in diesem Denken selbst die unselige Zeitgenossenschaft angelegt ist. Er geht dabei von einem aufschlussreichen Begriff Heideggers aus, dem der „Irrnisfuge“, und entwickelt, wie für dieses Seinsdenken immer schon die Notwendigkeit des Irrens bestand. Wenn Wahrheit im Gefolge der frühen Griechen als Unverborgenheit begriffen wird, dann geschieht im Ereignis der Wahrheit wesentlich ein Vergessen der Verborgenheit. In diesem Sinn kann Trawny Heideggers Satz interpretieren: „Wer groß denkt, muss groß irren.“ Trawny stellt fest, dass es so zu einer einzigartigen Entmächtigung des Subjekts kommt, das seine Wahrheitsauffassung nicht mehr rational kontrollieren kann. In letzter Konsequenz bedeutet dies, dass Heidegger sich durch sein Denken selbst der Möglichkeit begeben hat, gegen Auschwitz Einspruch zu erheben.
Trawny stößt sich auch am dichterischen Charakter von Heideggers Philosophie. Er zitiert einen Satz von 1938: „Das Seyn selbst ist ,tragisch’“. Tragisch ist, dass in der von der Technik beherrschten Welt das Sein in Vergessenheit gerät und Scheitern unvermeidlich ist. Bezeichnenderweise hat Heidegger Trawny zufolge das Genre der Komödie immer links liegen gelassen. Es ist diese Verwechslung von Philosophie mit Dichtung, die heute Kritik an Heidegger nötig macht.
Die Welt besteht aus vielen Geschichten, aber nicht mehr aus einer einzigen. Trawny schließt daraus, dass nach den Irrungen des 20. Jahrhunderts auf Rationalität nicht zu verzichten ist und es immer auch der Kriterien für Wahrheit bedarf. Insofern muss die Gegenwart Distanz zu Heidegger einnehmen: „Wir leben in einer Welt des Arguments. Vielleicht entstammt und dient es der Technik, einem funktionalen Denken, das sich ihr unterwirft. Vielleicht entstammt und dient es dem Wohle der Menschheit. Das Argument – Schlüssel zu einer Welt, die auf den Mythos verzichtet.“
Die fatalen Verstrickungen von Heideggers Werk mit der Zeitgeschichte aufzuarbeiten und damit auch seine immanenten Grenzen aufzuzeigen ist zweifellos eine Aufgabe gerade der deutschen Philosophie. Hierzu leistet Peter Trawny einen wichtigen Beitrag. Heidegger von der Tagesordnung zu nehmen wäre jedoch töricht. Gerade französische Denker jüdischer Provenienz, unter ihnen besonders Levinas und Jacques Derrida, haben seine Ansätze auf fruchtbare Weise weiterentwickelt. Maßgeblich bleiben seine Analysen des abendländischen Wertdenkens von Platon bis Nietzsche, in denen er sich mit Karl Marx berührt, den er selber freilich kaum wahrgenommen hat.
Liest man beide Theoretiker zusammen, dann erweist sich die Geschichte des Seins als eine, die von der Logik des Kapitals ramponiert ist. Hölderlin versteht man erst, wenn man zu Adornos Deutung Heideggers Interpretationen hinzuzieht. Wenn Antoni Tàpies, der große katalanische Maler des Informel und Antifaschist, in seiner Autobiografie schrieb, dass ihm Heideggers Philosophie immer zugesagt habe und er sich nach seiner Lektüre des Philosophen nicht habe vorstellen können, dass dieser Nationalsozialist gewesen sein soll, dann können wir diese Nähe jetzt näher bestimmen. Eberhard Geisler
Eberhard Geisler
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: