Kultur: Große Hoffnungen – gescheiterte Utopien
Reihe über 30 Jahre chilenischen Film im Filmmuseum eröffnet
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Reihe über 30 Jahre chilenischen Film im Filmmuseum eröffnet Nicht nur in Chile und Lateinamerika, auch in Europa hofften viele Menschen auf sozial gerechtere Gesellschaften, als die erste frei gewählte sozialistische Regierung unter Salvador Allende an die Macht kam. Umso schockierter reagierten viele in aller Welt, als diese Regierung am 11. September 1973 durch einen brutalen Militärputsch gestürzt wurde. Mit einer großangelegten Veranstaltungsreihe erinnert das Filmmuseum Potsdam an diese Zeit vor dreißig Jahren, die nicht nur in Chile von Aufbruch und Umbruch bestimmt war. Zum Auftakt zeigte das Filmmuseum zwei historische Filme sowie ein Projekt des Potsdamer Lateinamerika-Kreises „tierra unida“. Seit 20 Jahren beschäftigt sich „tierra unida“ mit Lateinamerika und versucht dabei, den Schicksalen der Menschen ein Gesicht zu geben. Unter dem Titel „Verlorene Erinnerungen“ zeigten sie eine kurze Videosequenz über drei von den mehr als 1000 „desaparecidos“, den „Verschwundenen“. Exemplarisch wurden die Fälle von Jose Manuel Ranieri, Miguel Woodward und Alvaro Vallejos genannt, zwei von ihnen Medizinstudenten, einer ein Priester der Armen, die von Miltäragenten nach dem Putsch entführt wurden und seitdem nicht mehr aufgetaucht sind. Mehr Informationen dazu finden sich auf der Internetseite memoriaviva.com. Neue Ideen, neue Arbeitsweisen prägten Künstler und Intellektuelle der damaligen Zeit, in der Begriffe wie „Kollektiv“, „Ausbeutung“, „Arbeiterklasse“ und „Revolution“ zum Standardrepertoire des politisch-intellektuellen Diskurses gehörte. Ein lupenreines Beispiel und in seiner Naivität anrührendes Zeugnis der Aufbruchsstimmung unter Salvador Allende liefert der zwischen 1972 und Mai 1973 gedrehte Film „Cuando el pueblo despierta“. „Wenn das Volk erwacht“ ist ein – sympathischer – historisch-didaktischer Propagandafilm, der das Programm der „Unidad popular“, der Partei von Allende, zu verbreiten sucht. Über weite Strecken liefert ein Erzähler aus dem Off, leider in amerikanischem Englisch ohne Untertitel, historische und andere Exkurse über die Entstehung der Arbeiterklasse in Chile. Dokumentarisch zeigt der Film, der von einem namenlosen Kollektiv gedreht wurde, wie Bauern und Arbeiter nach den Enteignungen Siedlungen bauen und versuchen, ihre Arbeit im Kollektiv zu organisieren. Auch eine Vertreterin der Landbesitzer kommt mehrfach kritisch zu Wort. Zunehmender Mangel bestimmte das Leben in Chile, die Situation spitzte sich zu. Fast schon prophetisch schildert der Film mit Ausschnitten von Demonstrationen der Arbeiter und der Bürger und mit Bildern von Militäraufmärschen die zunehmenden Kämpfe in der Gesellschaft, die nur wenige Monate später real eskalierten. Eines der bekanntesten Opfer des faschistischen Putsches ist der Sänger-Dichter Victor Jara gewesen. Der Kurzfilm des bekannten kubanischen Regisseurs Santiago Alvarez aus dem Jahr 1973 erinnert an diesen charismatischen Sänger, dessen Schicksal das Scheitern des gesellschaftlichen Aufbruchs symbolisch verkörpert. Die Mischung aus dokumentarischen und stilisierten Sequenzen macht diesen Film zu einem eindrucksvollen Zeitzeugnis. Zahlreiche Filme, darunter sehr bekannte wie „Die Enteignung“ oder „Mit brennender Geduld“, geben im Filmmuseum Potsdam in den nächsten Wochen Einblicke in diese ferne Zeit großer Hoffnungen und gescheiterter Utopien.Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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