Kultur: Großstadtmädel
Sylvia "die Unvollendete" als „Sächsin in the City“
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Ach, diese undurchschaubaren Frauen! Eine Sächsin wollte die flotte Blonde mit dem altmodischen Kurzkleid und dem breiten Gürtel angeblich sein. „Die Unvollendete“ sollte man sie heißen, oder einfach nur Sylvia. Was für ein Wirrnis am Mittwoch auf der Bühne des Kabaretts Obelisk. Brechts Dickicht der Großstadt war nichts gegen diese undurchdringliche Melange aus Dichtung und Wahrheit, aus Schein und Glamour, Chansons und kessem Bühnenspiel, um die Spur dieser „Sächsin in the City“ treulich vor- und nachzuzeichnen. Im Publikum ein ziemlich aufgekratzter Trupp, vermutlich der Art betriebliche Weihnachtsfeier, die mehr oder weniger losen Streiche der Solistin fast ausverkauft. „Ihr wart ein duftes Publikum“, raunte sie am Ende ihres Gastspiels galant von der Rampe, obwohl da manch eine Sektdrossel laut und permanent dazwischenquatschte.
Von ihrem im schlechten Sächsisch vorgetragenen Ausflug in die Metropole Berlin selbst gibt es so viel nicht zu erzählen. Ein hübsch unterhaltsames Soloprogramm mit meist selbstgeschriebenen Texten, mal auf Hausfrauenart, mal leicht verführerisch, mal verspielt, mal glanzvoll naiv und also gewinnend vorgetragen. Auch ihr Pianist bekam die Chance, sich solistisch zu produzieren, was er auch prompt tat. Ein total nettes Programm für die allertiefsten Spaß- und Friedenszeiten, darin es um nichts, also um reinweg gar nichts geht. Natürlich kamen da unausweichlich feminine, zum Glück nicht feministische Stammthemen herauf, die pure Freude am häuslichen Saubermachen, das erste Date im Internet mit seinen Entäuschungen, tigergleiche Mannsbilder und ächzende „EX-en“, die sich wie Echsen benähmen. Dresden habe zwar, leicht erotisch gesagt, einen Zwinger-Club und die Grüne Grotte, so richtig was los ist aber erst in Berlin. Hier tobt das wahre Leben, hier wird die „Manns-Schaft“ nach tapsigen Bären und einsamen Wölfen gerechnet, hier bleibt man beim Chatten im Schatten, hier muss die Sehnsucht auf der Straße wohnen, wenn eine Liebe zerbricht. Hier muss man sogar für die Werbung beim Träumen im Bette bezahlen!
Dazu ein bisschen Hollaender, ein bisschen Kreisler, doch 80 Prozent der Lieder stammen von der "Unvollendeten“ selbst. So beliebte es ihr, sich auch mal eine zackenrote Perücke aufzusetzen, um einen fetzigen Hip-Hop-Song hinzulegen. Mochte sie beim Singen auch über Oktaven springen, sprachlich und gestisch brauchte Sylvia in ihrer liebenswerten Art auffallend wenig, um sozusagen den bildlichen Kommentar zum Thema Putzen-Shoppen-Männer mitzuliefern. Sogar die gewissen Stellen, welche die halbe oder reife Damenwelt im Publikum zu seligen Tönen verführte, brachte sie mit knochentrockener Souveränität herüber, schließlich hat „die Unvollendete“ ihr Handwerk zu einem guten Teil in Potsdam gelernt. Das ständig schön dicht am Klischee dranzubleiben aber hoffentlich nicht. Der zweite Teil war ohnehin der schwächere.
Zuletzt blieb vom möglichen Ort ihrer Geburt nicht mal der sächsische Dialekt übrig, denn bei ihrem Marsch in die City Berlin hat sie zwar keinen Mann gefunden, dafür aber ihre vollendete Liebe zu dieser Kapitale. Ganz konventionell, ganz privat, sehr feminin und ohne jeden Biss. Ein Solo für die Zahnlosen. Gerold Paul
Gerold Paul
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