Kultur: „Grundschwierigkeit sind die Verse“ Ein Gespräch über Puschkin mit dem Slawisten Rolf-Dietrich Keil, der am Samstag in Potsdam liest
Herr Keil, wie nah kann uns heute überhaupt noch ein Schriftsteller wie Alexander Puschkin sein?Das ist eine berechtigte Frage.
Stand:
Herr Keil, wie nah kann uns heute überhaupt noch ein Schriftsteller wie Alexander Puschkin sein?
Das ist eine berechtigte Frage. Es kommt immer darauf an, wen Sie unter „uns“ verstehen. Wenn Sie einen gewissen Bildungsstandard voraussetzen, könnte ein Dichter wie Alexander Puschkin uns durchaus nahe gebracht werden. Im Augenblick ist er es aber nicht.
Und woran liegt das?
Eine Grundschwierigkeit bei Puschkin besteht darin, dass sein wesentliches Werk in Versen geschrieben ist. Da ist der Leser dann auf gute Übersetzungen angewiesen. Übersetzungen sind an sich schon schwierig, aber Versübersetzungen sind noch problematischer.
Inwiefern?
Wer in Versen übersetzt, ist gezwungen aus Gründen des Reims und des Metrums dort, wo er es oft gar nicht will, vom Original abzuweichen und andere Lösungen zu finden. Trotzdem wird es immer wieder versucht und manchmal mit Erfolg. Aber nicht alle Versübersetzungen von Puschkin sind gleichgut. Das ist ein Problem. Das andere Problem besteht im Inhalt. Das betrifft vor allem die späteren Werke, wie beispielsweise „Der eherne Reiter“, Puschkins Erzählungen aus St. Petersburg, aus denen ich am Samstag in Potsdam lesen werde. Die haben einen großen Bezug zur russischen Geschichte. Und wenn man von der russischen Geschichte nichts weiß, ist das Interesse verständlicherweise relativ gering.
Das klingt wenig ermutigend, Herr Keil.
Nun, wer sich aufgeschlossen gibt, der braucht eigentlich nicht furchtbar viel zu wissen. Peter der Große hat St. Petersburg gegründet und diese Stadt liegt ziemlich ungünstig am Meer. Das reicht dann schon. Da ist es mit Puschkins Prosawerken einfacher, die in Deutschland auch viel stärker bekannt sind, wie beispielsweise „Der Postmeister“.
Aber zählt nicht gerade ein Versepos auch in Deutschland zu Puschkins bekanntesten Werken? „Jewgeni Onegin“, das auch Sie neu übersetzt haben?
Ja, aber „Jewgeni Onegin“ ist doch vor allem bekannt durch die Oper von Tschaikowsky. Aber durch diese Oper erfährt man über den „Onegin“ von Puschkin etwa genau so viel wie über Goethes Faust, wenn man sich die Oper „Margarete“ von Gounod anschaut. Oper ist ganz was anderes.
Also Puschkin lesen. Aber ist neben Reim und Metrum nicht vor allem die russische Sprache die größte Schwierigkeit beim Übersetzen?
Im Russischen ist die Sprache das Nonplusultra. Und ein Übersetzer muss sich sehr anstrengen, um diesem Standard mit seiner Arbeit gerecht zu werden. Es ist zwar schwer. Aber ich sage, in manchen Fällen kann es gelingen.
Und mit Ihren Übersetzungen ist dies gelungen?
Nun, zwei Akademien, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Russische Akademie der Wissenschaften, haben befunden, dass meine „Onegin“-Übersetzung gelungen sei.
Was haben Sie anders gemacht als die Übersetzer vor Ihnen?
Das weiß ich nicht. Denn letztendlich kommt es auf den Leser an, der das beurteilt. Natürlich findet man das, was man selbst gemacht hat immer am besten. Aber das muss nicht so sein.
Was aber hat Sie bewogen, Puschkin neu zu übersetzen?
Ganz einfach. Die Unzufriedenheit mit vorhandenen Übersetzungen. Außerdem reizt Puschkins Werk auch als solches, weil es viele verschiedene Facetten hat und weitgehend ironisch geschrieben ist.
Aber wenn man die ersten Zeilen von „Der eherne Reiter“ liest: „Wo Wellen ödem Ufer nahn / Stand Er, erfüllt vom großen Plan / Und sah hinaus. Breit vor ihm jagte / Der Fluß dahin; ein armer Kahn / Allein sich auf die Strömung wagte.“ Das klingt nicht gerade ironisch.
Das vielleicht noch nicht. Aber da kann ich die Aussagen von jetzt schon etwas älteren Studentengenerationen anführen, die meine Übersetzung gelesen und dabei laut gelacht haben. Das ist doch ein gutes Zeichen.
Ist es nur die Versform, die einen Schriftsteller wie Alexander Puschkin im Gegensatz zu den Romanen Dostojewskijs, die vor allem durch die Neuübersetzungen von Swetlana Geier immer noch äußerst populär sind, oder im Gegensatz zu den Romanen Gogols, dessen „Die toten Seelen“ in diesem Jahr neu übersetzt wurde, ins Hintertreffen geraten lässt?
Ganz bestimmt spielt das eine entscheidende Rolle. Prosa ist zwar nicht einfach, aber relativ leichter zu übersetzen. Was die Popularität von Dostojewskij betrifft, so war die in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts viel größer als heute. Wie das bei Gogol jetzt ist, kann ich gar nicht sagen, denn ich kenne die Neuübersetzung noch nicht.
Das ist jetzt ein Scherz?
Die kostet 89 Euro. Das ist mir zu teuer. Aber die „Die toten Seelen“ sind wahnsinnig schwer zu übersetzen. Denn Gogols Stil ist in seiner barocken Art derartig einmalig. Wenn Günter Grass Russisch könnte, würde er ihm vielleicht gerecht werden.
Also ist etwas dran an der Behauptung, dass ein Leser von Übersetzungen aus dem Russischen oft nur ein paar Prozent von dem nachvollziehen kann, was diese Autoren im Original ausgedrückt haben?
Ich würde sagen, dass dies bei Dostojewskij nicht stimmt. Dostojewskij hat, weil er ständig mit Spielschulden zu kämpfen hatte, auf stilistische Feinheiten kaum Wert gelegt. Bei ihm sind die Gedanken das Wichtigste. Aber Gogol war vor allem ein hintergründiger Humorist, der dann später sehr in Richtung Mystik abgedriftet ist. Gogol schrieb furchtbar lange Sätze, was im Russischen mit der Hilfe von Partizipien einfacher ist. Sein Stil ist entweder hoch pathetisch oder banal. Dazwischen gibt es nichts. Und ein schlechter Übersetzer versucht da immer auszugleichen.
Und was macht ein guter Übersetzter?
Der gute Übersetzer strengt sich an, das mitzumachen. Aber um auf die Popularität russischer Autoren zurückzukommen, auch Tolstoi ist hierzulande kaum noch im Bewusstsein. Vielleicht noch „Krieg und Frieden“ und „Anna Karenina“.
Wobei den meisten wohl nur die Titel dieser Romane ein Begriff sein werden.
Oder die Verfilmungen. Wobei die russisch-amerikanische Verfilmung von „Krieg und Frieden“ mit Audry Hepburn wirklich gut ist.
Und wie schwer oder leicht ist nun eine Übersetzung von Puschkin?
Bei Puschkin ist es sowohl in den Versen als auch in der Prosa schwierig, weil Puschkin, im Gegensatz zu allen anderen Russen, auf äußerste Kürze bedacht war. Genauigkeit und Kürze sind die Tugenden der Prosa, so hat er es selbst gesagt.
Sie haben auch eine Puschkin-Biografie geschrieben. Ist vielleicht für einen jungen Leser heute, der sich mit Puschkin beschäftigen möchte, eine solche Biografie nicht der bessere Einstieg in dessen Dichtung?
Ich würde den Einstieg über die Biografie sogar empfehlen. Das muss natürlich nicht unbedingt meine sein. Freuen würde ich mich aber trotzdem.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Rolf-Dietrich Keil liest am Samstag, 29. August, um 16 Uhr aus „Der eherne Reiter“ im Rahmen der Ausstellung „Puschkins Petersburg“ im Garten des Museums Alexandrowka, Alexandrowka 2. Der Eintritt kostet 5 Euro. Rolf-Dietrich Keils Übersetzungen von „Der eherne Reiter“ und „Jewgeni Onegin“ sind im Insel Verlag erschienen. Ebenso seine sehr zu empfehlene Biografie „Alexander Puschkin. Ein Dichterleben“
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