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Kultur: Guten Wein trinkt man nicht im Stehen

Im Huchel-Haus lasen zwei alte Freunde: Ludvik Kundera und Frantisek Listopad

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Botschaften anderer Länder erwecken gewöhnlich den Eindruck besonders seriöser Institutionen. Was aber, wenn ein ziemlich alter, doch recht jugendfrischer Herr darin herumläuft und aus voller Kehle singt? So geschah es jüngst der tschechischen Vertretung in Berlin, wo der Dichter Frantisek Listopad während des unlängst zu Ende gegangenen Prag-Berlin-Festivals untergekommen war. Zusammen mit seinem Freund Ludvik Kundera ging er anläßlich dieses Ereignisses auf eine dreitägige Lesereise, die im Wihlelmshorster Peter-Huchel-Haus endete.

Kundera kennt dieses Gebäude seit 1954, er besuchte hier Peter Huchel, dann auch Erich Arendt. Ersterer nannte den tschechischen Poeten sogar den „einzigen Freund in schweren Jahren“.

Kundera ist wohl bekannter als Listopad, obwohl man hierzulande von beiden herzlich wenig lesen kann. Der Wuppertaler Arco Verlag legt dankenswerterweise zu seinem 85. Geburtstag in der „Bibliothek der Böhmischen Länder“ eine Werkauswahl vor. Mit seinem Dichter-Kollegen steht er bereits seit sechzig Jahren auf gutem Fuß, fünfzig davon haben sich die beiden – der eine im mährischen Kunstat, der andere in Portugal lebend – nicht gesehen.

Der Titel ihrer ersten gemeinsamen Lesung „el do Ra Da (da) - Freiheit und anderes Gemüse“ , zuvor in Leipzig und in der Berliner Botschaft ausgeführt, ist eine Synthese aus zwei Büchern der Autoren. Sie nennen sich nicht nur „Dichter“, sie sind es auch, besonders in Bezug auf Surrealismus und DaDa, zur Moderne also, welche durch die Nazis jäh abgebrochen wurde. Nach dem Krieg allerdings wurden solche „Experimente“ in der Tschechoslowakei auch nicht lange geduldet. Listopad, Jahrgang 1921, ging über Paris nach Lissabon, Kundera, noch 1946 Mitbegründer der Gruppe „Ra“, als Autor eher in die Immigration. Er arbeitete als Redakteur und Dramaturg, bekam 1970 Publikationsverbot, konnte sich später aber als Übersetzer und Herausgeber (Anthologie „Die Sonnenuhr“, Reclam 1987) einen Namen – und viele Freunde machen. 2002 wurde ihm der Leipziger Buchpreis für europäische Verständigung verliehen.

Was dem vollbesetzten Lesesaal über zwei komprimierte Stunden in deutsch oder tschechisch-deutsch zu Ohren kam waren vor allem Gedichte, frühe Arbeiten von Listopad aus den Vierzigern um Lachen und Weinen, um volksderbe Liebhändeleien, um Träume mit biografischem Hintergrund, wie sie ein Surrealist eben liebt, und er sagt gern: Guten Wein trinkt man im Stehen! Viel später aber schreibt er: „portugiesischer Regen hört sich rosa an, jeder Tropfen ein böhmischer Klang“. Sehnsucht nach Heimat – im Obergeschoss seines Hauses gibt es zwei Zimmer, eines für tschechische Lyrik („das Kreischen der Nachtvögel ist die Poesie, die ich übersetze“), ein zweites für die meist französisch geschriebene Prosa. Es wird Zeit, diesen Mann in deutschen Buchläden zu finden. Ludvik Kundera, mit ihm in Verehrung für Frantisek Halas vereint, las kurze Prosatexte, Gedichte aus verschiedenen Zyklen wie „Erinnerungen an Städte/Stätten, wo ich niemals war“, Tee-Lyrik zur Huldigung der verschiedenen Sorten des Suds, Erheiterndes und Ernstes, Frühes und Spätes , und im Raum erstand mit stiller Achtung, was eine echte Dichterlesung ausmacht: Das spürbare Weben und Schweben von Poesie, auch wenn man von der 1989 wiederbelebten Freundschaft dieser Beiden, die zum schreibenden Urgestein Tschechiens zählen, so viel nicht sah. Dada war nur wenig, Botschaft aber viel. Gerold Paul

Gerold Paul

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