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Kultur: Hamlet zersplittert

Der Schauspieler Herbert Fritsch hat an der Potsdamer Filmhochschule sein Projekt hamlet_X vorgestellt

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Der Schauspieler Herbert Fritsch hat an der Potsdamer Filmhochschule sein Projekt hamlet_X vorgestellt Von Dagmar Schnürer Wie eine Pyramide soll es werden, in die man eintritt und in der sich ein Gewirr von Gängen auftut, die einen endlos immer tiefer führen. Eine „Hamlet-Pyramide“stellt sich der Schauspieler Herbert Fritsch (geboren 1951 in Augsburg) vor. An der Filmhochschule Babelsberg (HFF) hat er sein Projekt „hamlet_X“ präsentiert, das ihn seit ungefähr drei Jahren beschäftigt und das sich noch über weitere Jahre hinziehen wird. Knapp zwanzig Studierende waren gekommen, um sich das ungewöhnliche Projekt erklären und zeigen zu lassen. Chats geflutet Begonnen hatte alles im Chat. Unter dem Nickname hamlet_X hatte Herbert Fritsch Chatrooms mit Hamlet-Zitaten überflutet, bis er rausgeschmissen wurde. Schließlich begann, in Kooperation mit der Berliner Volksbühne und ohne nennenswertem Budget, das Projekt hamlet_X. In 111 Sequenzen hat Fritsch das Theaterstück zersplittert und aus jeder soll ein in sich geschlossener Kurzfilm werden, drei bis zehn Minuten lang. Über vierzig dieser Filme sind bereits gedreht und etliche Portraits. Denn zusätzlich sollen 111 Portraits von fiktiven Personen entstehen, die Figuren aus dem Stück gekannt haben. So tritt zum Beispiel in einem der Portraits Rufus Beck als Versicherungskaufmann auf. Er hat seinen Job verloren, weil der Tod Hamlets ein Verlustgeschäft ohnegleichen war. Christoph Schlingensief, als Gynäkologe der Ophelia und der Mutter Hamlets, demonstriert an seinem Nasenloch, wie er bei Untersuchungen vorgeht. Dann erklärte er, warum Hamlet nicht wissen konnte, wer er war und sein sollte. Die Königin habe neun Jahre auf ein Kind gewartet und eigentlich sechs gebären wollen. Das einzige Kind, Hamlet, das sie schließlich zur Welt brachte, musste nun die sechs verschiedenen Kinder vertreten, die leider nie geboren worden waren. Und schließlich Astrid Meyerfeldt als Krankenschwester, die den krebskranken König, der doch nicht gestorben war, mit liebevollem Sarkasmus pflegt. „Ich bin kein Regisseur. Ich bin froh, wenn die irgendwas machen und schaue da gerne zu.“ So eröffnet Herbert Fritsch seinen Kollegen und Kolleginnen eine grenzenlose Spielwiese des Improvisierens, und je ausgelassener sie genutzt wird, desto besser, meint er. Ein kurzes Gespräch im Voraus, maximal sechs Stunden Drehzeit pro Film, meist authentische Sets, zwei oder drei ununterbrochen laufende Kameras, kaum Lichteinrichtung. Die zahllosen Pannen sieht Fritsch als Bereicherung, sie zwingen zu unkonventionellen Ideen, nachher, am Schneidetisch, den Fritsch seinen Helferinnen und Helfern überlässt. Fritsch möchte die poetische Sprache der Shakespearetexte, die im 18./19. Jahrhundert ins Deutsche übertragen worden sind, und ein theaterhaft-übertriebenes Spiel gegenwärtigen Situationen überstülpen. Das Medium der vermeintlichen Authentizität, der Film, soll mit diesem gegenläufigen Inhalt konfrontiert werden. Mal schauen, was dabei heraus kommt. Nonsens-Geplapper Bisher gibt es ausgeflippte Szenen zu sehen, oft viel zu lang, voller Nonsens-Geplapper, platter Effekte und technischer Spielereien. Nicht alle können so spannungsvoll improvisieren wie die volksbühnengeübte Astrid Meyerfeldt. Und es gibt bekannte Schauspielerinnen und Schauspieler zu sehen, die genüsslich schräge Gefühlseskapaden und den Shakespearetext zelebrieren. Die Idee, alles ins Internet zu stellen, ließ sich nicht so verwirklichen, wie gedacht. Nun hat Fritsch das Medium der DVD entdeckt. Damit will er ein Hamlet-Labyrinth verwirklichen, in dem sich jeder und jede ihren eigenen, niemals endenden und jedesmal neuen Weg durch die Hamletsplitter und die kommentierenden Portraits suchen kann. Ein Zappen innerhalb von je 10 Kurzfilmen auf 22 DVDs und mit Funktionen, die zum Beispiel das Durchlaufen aller Ophelia-Szenen und -darsteller ermöglichen. Hamlet als unendliche Quelle neuer Geschichten und Assoziationen. Angesichts der Tatsache, dass bisher höchstens ein Fünftel des Vorhabens ausgeführt wurde, bleibt es spannend, ob Herbert Fritsch seinen spielerischen Traum des Star- und Trasch-Zappings wird verwirklichen können.

Dagmar Schnürer

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