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Kultur: Happening mit Heinrich Böll

„Ende einer Dienstfahrt“: Die lange Matinee-Tradition am Hans Otto Theater hört auf

Stand:

Mit einem kleinen Feuerwerk und Sekt zu Tische ging am Sonntag im Foyer des Hans Otto Theaters eine lange Matinee-Tradition zu Ende. Neben Uwe Eric Laufenberg, scheidender Intendant, und Caroline Lux verabschiedet sich nun auch Hans-Jochen Röhrig von seinen Zuschauern. Grund genug, noch einmal so richtig auf die Pauke zu hauen. Zusammen mit dem „Marsch-Musikanten“ Christian Deichstetter am Klavier las das Schauspieler-Trio Heinrich Bölls wohl schönste Satire, wobei das „Ende einer Dienstfahrt“ natürlich doppelbödig gemeint ist.

Die letzten leselustigen Streiche des Großmeisters der kleinen Form, Hans-Jochen Röhrig, waren ja schon zunehmend heiter. Dieses so schöne Ultimo am Sonntag bestach dann auch durch eine so souveräne Fröhlichkeit, wie man sie oft bei „Losgelösten“ findet. Natürlich übertrug sich das auf den sattvollen Zuschauerteil untern roten Schwungdach innen, gleich neben der Bar, herrliche Stimmung.

Heinrich Böll war für seine Zeit eine Institution, für viele wie eine Offenbarung. Was er schrieb, das zählte. Was der Literaturnobelpreisträger sagte, hatte auch Gewicht. Aber was wäre hienieden nicht vergänglich? Theater am wenigsten, Intendanten und Kritiker dito.

Heinrich Böll also beschrieb in diesem unglaublich kecken Text eine Gerichtsverhandlung in einer jener bundesdeutschen Mittsechziger-Städte, wo alle Dinge geordnet sind, alles starr, geregelt, tot. Sein Ort im Rheinischen heißt Birglar, und verhandelt wird, ja was wird verhandelt? War es nun Leichtsinn, Sabotage, schnöde Brandstiftung oder gar Kunst, was Vater und Sohn Gruhl da auf einem Rübenacker anstellten? Mit Tanzen und Freuen hatten sie einen Bundeswehr-Jeep angezündet und abgefackelt, mitten im Kältesten Krieg!

Viele sahen es, aber die Honoratioren der Stadt zeigten merkwürdigerweise kein Interesse, die Öffentlichkeit bei der Verhandlung zu sehen. Die Angeklagten waren ver- und geständig, es hätte kurzer Prozess gemacht werden können, wäre da nicht dauernd etwas dazwischengekommen. Zum Beispiel die Affäre eines Gerichtsoberen mit einer stadtbekannten Hure. Dazu die amtsdeutschen Fangeisen einer Rechtsordnung, für die Widerspruch wie Aufruhr klingt: Als ein Zeuge das Wort „Spitzel“ nicht zurücknehmen will, wird er mit 50 Mark Strafe belegt. Sein Kommentar: Er wusste gar nicht, wie teuer es sei, die Wahrheit zu sagen.

Schlampereien von der Bundeswehr bis in die Gerichtsstuben – der so billig begonnene Prozess zieht sämtliche Stützen der Gesellschaft mit hinein, bis nur noch das Gelächter bleibt. Zuletzt ist man froh, den abgefackelten Jeep „Kunstwerk“, das Zündeln selbst „Happening“ nennen zu dürfen. Das Urteil fällt milde aus, sogar das beschlagnahmte Corpus Delicti muss die Bundeswehr am Ende der Farce wieder herausrücken.

Bölls anarchistischer Mut demontiert die Struktur einer ganzen Stadt, seine Respektlosigkeit schont keine „Höhere Instanz“, ein Narr, wer da an heute dächte. Hier wurde nicht über Schwejk geschrieben, Schwejk führte selbst mit grimmigstem Humor die Feder! Das Publikum indes verspürte in dieser letzten Matinee den verwehenden Hauch von Subversion, einstmals Potsdams Ruhm. Die Gehenden formulierten am Ende ihrer Dienstfahrt ein Testament: Das Happening mit Heinrich Böll war Rechnung und Aufruf in einem. Gerold Paul

Gerold Paul

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