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Zündend. Flying Step tanzte das Wohltemperierte Klavier.

© Andreas Klaer

Kultur: Harte Kerle lieben Bach

Die Breakdance-Gruppe Flying Steps begeisterte im Nikolaisaal

Stand:

Was haben Johann Sebastian Bach und Breakdance gemeinsam? Beide können zusammen das Publikum beflügeln. Das bewiesen Vartan Bassils Breakdancer von den Flying Steps mit ihrer Choreographie zu den Präludien und Fugen des Wohltemperierten Klaviers. Die Symbiose nennt sich kurz „Flying Bach“ und begeisterte am Freitag- und Samstagabend das Publikum im ausverkauften Nikolaisaal.

Breakdance hat sich seit der ersten „Flying Bach“-Vorstellung 2010 in Berlin als anspruchsvolle Kunstform über die Szene hinaus Respekt verschafft, denn „Flying Bach" wurde vergangenes Jahr auch mit dem Echo Klassik Sonderpreis prämiert. Das Potsdamer Publikum, vor allem Jugendliche, junge Erwachsene und Teenager mit ihren Eltern, schien gut darauf vorbereitet, an diesem Abend zu den klassischen Bachklängen die bereits mehrfachen Weltmeister des zeitgenössischen Breakdance performen zu sehen. Die Wenigsten waren wohl allein für Bach gekommen, wohl aber für die ungewöhnliche Kombination.

Als hätte Bach es damals schon geahnt, hat er seine Stücke im zwei bis drei Minuten langen MTV-Music-Clip Format geschrieben und somit eine passende musikalische Vorlage für die Flying Steps komponiert. Profitiert haben von diesem Crossover-Projekt beide Seiten, die Klassik und der Breakdance. Wer bisher dachte, es ginge nur darum, irgendwie hart auszusehen, wurde hier schnell eines Besseren belehrt.

Mit den elektronischen Beats oder pur am Flügel und Cembalo gespielt, hörte man Bach an diesem Abend anders als sonst. Und auch der Breakdance hat sich durch die Verlangsamung der Bewegungen, die Isolation einzelner Figuren, die Reduktion auf Fuß- oder Armchoreographien einer Selbstanalyse unterzogen. Sichtbar geworden ist die Vielfalt dieses Tanzstils – mit seinen verschiedenen Ausdrucksformen, wie Popping, Pumping, Powermoves, Krumping, Locking, die Liste ließe sich fortsetzen – seine humorvollen Ausdrucksmöglichkeiten und die harte Trainingsarbeit, auf welche die so schnellen, wirbelnden und ebenso kraftvollen Sprünge, akrobatischen Posen und Drehungen basieren. Bereits nach der zweiten Fuge, des BMV 848 in Cis-Dur, zeigte sich, wie viel Rhythmus Bach besitzt. Die ersten Applause begleiteten die Kopfdrehungen der Tänzer zu den Cembaloklängen. Damit hatten sich die Flying Steps gerade mal warm getanzt. Zu Bach wurden die Bewegungen mal wie im Kanon angeordnet, in der Gruppe getanzt und manchmal wie in Zeitlupe ausgeführt.

Rahmenhandlung des Abends war eine Tanz-Gruppe beim Training und ein unzufriedener Lehrer. Einer kommt zu spät und bleibt allein zurück: Lil Ceng wird nach diesem ersten Tanzsolo, in dem er seinen Rucksack um seine Beine wirbelt, alle anderen immer ein kleines bisschen übertrumpfen. Der Kleinste des Ensembles ist nämliche der Größte, in der Biographie des 18-Jährigen steht es dann auch noch mal: Ausnahmetalent.

Zwischen den vermeintlich harten Jungs in den Trainingshosen und Turnschuhen schwebte die Japanerin Yui Kawaguchi als zarte Tänzerin. Sie repräsentierte die Begegnung zwischen dem klassischen Tanzstil und dem groben von der Straße. Ein kleiner Tanz-Kulturschock schüttelte die zierliche Tänzerin in ihrem Röckchen, bevor sie weich und geschmeidig zwischen den Posen der Breaker hindurchschlüpfte und ein tänzerischer Dialog begann. Die Bewegungen der Tänzer passten sich ihren fließenden und weichen Gesten an, keiner übernahm jedoch ganz den Stil des anderen.

Es waren so kleine Raffiniertheiten, die das Programm abrundeten: die Denkerposen, in denen die Flying Steps plötzlich verharrten, oder als Yui Kawaguchi die Tänzer zu einem Bild erstarren lässt, das stark an das Gemälde „Adam“ von Michelangelo erinnerte. Im nächsten Moment wird das Tuch, mit dem die Tänzerin gerade noch die B-Boys eingewickelt hat, zur Leinwand. Noch einmal sieht man als Videoinstallation die Drehungen in Zeitlupe, als würden die Tänzer fliegen. Sekunden der Schwerelosigkeit in die Länge gezogen. Eine kleine Liebesgeschichte zwischen der fremdartigen Tänzerin und den B-Boys war auch noch in den zwölf Präludien und Fugen verpackt. Sie diente zwar nur als Folie, auf der jeder der Tänzer seinen Stil präsentiert, machte den Abend aber umso unterhaltsamer. Denn im Finale werden sich alle miteinander versöhnen: Die Ballerina und der B-Boy, der klassische Tanz und der moderne, Bach und die Flying Steps. Was am Anfang als gewagtes Experiment schien, hat sich nicht nur für den künstlerischen Leiter Christoph Hagel als Erfolgskonzept herausgestellt. Undine Zimmer

, ine Zimmer

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