Kultur: Hastige Lesung mit Tombola Blixa Bargeld las
in der Villa Quandt
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Er schien guter Dinge und trug doch eine etwas gelangweilte Miene zur Schau. Ganz offenbar und einmal mehr zeigte der bekannte Musiker, Theaterschauspieler und Performancekünstler Blixa Bargeld sein Talent, lustlos aus seinen Texten vorzulesen. So auch am frühen Samstagabend, im helllichten Kaminsaal der Villa Quandt.
Es war eine ungewöhnliche Lesung, eine insgesamt seltsame, durchaus reizende Inszenierung. Denn statt seines Buches „Europa kreuzweise“, welches im letzten Jahr im österreichischen Residenzverlag erschienen ist, brachte Bargeld seinen mit einer Telepromptersoftware ausgerüsteten Laptop mit, um den Buchtext von dort abzulesen. Nur schien das Tempo des Teleprompters etwas zu schnell eingestellt und das Mikrophon meist zu nahe am Mund des Rezitators, so dass sich bald eine dumpfe, grummelnde Wortflut über die gut 50 Gäste legte. Doch man ließ sich gern und heiter darauf ein. Tatsächlich konnte die „Litanei“, so der Untertitel des Buches, wohl auch gar nicht anders vorgetragen werden.
Was Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden Neubauten und langjähriger Gitarrist bei Nick Cave and The Bad Seeds, hier in einer distanzierten, äußerst knappen reduzierten Sprache, fast im Telegrammstil darbot, sollte die immer gleichen Abläufe eines Touralltags der Neubauten im Jahr 2008 nachvollziehbar machen. Die Monotonie einer kreisenden Bewegung, formelhaft verstärkt durch die stets wiederkehrende, unveränderte Auflistung der gespielten Songs und auffällig durchbrochen allein von ausgedehnten Mahlzeiten in Sterne-Restaurants. Als Tour-Tagebuch aber wolle Bargeld „Europa kreuzweise“ nicht verstanden wissen – über die Hälfte darin sei frei erfunden. Nichts indes erzählte der schwarz Gekleidete mit der überlangen Scheitelfrisur und den rosigen Wangen da vorn über die Musik, Bandmitglieder oder gar Groupies, sondern viel lieber und oftmals trocken komisch von Food-Bloggern in Luxemburg, den schönen Kleidern der Prostituierten, der russischen Mafia als Saalordner oder von Traktoren, die in Bologna nachts plötzlich massenhaft vor seinem Hotelzimmerfenster parkten. Zwischendrin die wahren Gaumenfreuden, zitierte Speisekarten. Parfait von der Gänsestopfleber, Schaumsuppe von der Brennnessel mit Safranbutternockerl, rotem Linsenragout oder schlichten Spaghetti mit Seeigel. Ob man schon Hunger bekomme, fragte er da und nippte an seinem Weißwein.
Bei aller Hast und Litanei schaffte es Bargeld aber recht geschickt, kraft seiner Aura und tiefen Stimme, immerhin eine knappe dreiviertel Stunde, die lockere, ja heitere Stimmung im Saal zu halten. Dann aber überkamen ihn die Müdigkeit und das Mitleid. Jäh warf er sich in seinen Stuhl zurück: „Ich glaube, jetzt haben Sie genug.“ Die Zugabe hatte er schon eingangs in Aussicht gestellt, wodurch sie jedoch nichts an Charme verlor. Denn einiges aus seiner privaten, seit vielen Jahren chronologisch geordneten Textsammlung – lyrische Fetzen, Wortspielereien oder auch ein Walter-Benjamin-Zitat – hatte Bargeld schon noch vorlesen müssen, bis die mitgebrachte Flasche spanischer Rotwein eine Gewinnerin fand, weil sie endlich auf ein Datum ohne Eintrag getippt hatte. Das hätte auch ewig andauern können.
Fast wirkte Bargeld erleichtert, entspannt, als er nach nur einer guten Stunde noch einige Bücher signierte. Erfreut auch über den Beifall – ein Satter auf dem Sprung. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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