Kultur: Heftige Böen
Festtagskonzert der Kammerakademie Potsdam
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Aus Anlass der Geburt seines letzten Sohnes komponierte Richard Wagner das Siegfried-Idyll, ein Instrumentalstück in vergleichsweise kleinem Maßstab. Das Heiligabend im Wagner’schen Haus uraufgeführte Werk eröffnete das Festtagskonzert der Kammerakademie Potsdam im ausverkauften Nikolaisaal.
Unter der Leitung von Michael Sanderling schien es, als hielten Orchester und Dirigent bewusst Abstand zu dieser Musik. Trotz Schönklang der pastellzarten, erlesen dräuenden Tongespinste wirkte die Interpretation wie mit spitzen Fingern dargeboten. Man spielte mit technischer Perfektion, aber es klang so, als ob ein besonders edles, glitzerndes Stück Seidenbrokat dem Kunden präsentiert würde – mehr wie eine Ware, aber nicht wie lebendige Musik.
Josef Haydns einziges Trompetenkonzert setzte die bunte Mischung populärer Klassiker fort. Sein musikalischer Genius fand in der damals brandneuen Weidinger-Trompete noch einmal eine kongeniale Herausforderung. Die technischen Neuerungen des Instruments wusste der Altmeister in einer ungewöhnlich kantablen und virtuosen Komposition umzusetzen. Alle drei Sätze versprühen festlich-fröhliches Flair, lassen aber auch Moll-Töne erklingen, was bei Trompetenmusik nur selten vorkommt. Für solch ein Trompetenfest war der junge preisgekrönte Solist Gabór Boldoczki genau der richtige Mann. Er kann butterweiche Ansätze blasen, ihm gelingt ein flötenzartes Piano, aber er leuchtet auch mit kräftigen Fanfarentönen und lässt brillante Triller aus seinem goldenen Horn sprudeln. Applaus für diese exzellente Darbietung. Als Zugabe gab es Variationen von Donizetti, die von Boldoczki für Trompete arrangiert waren. Hier konnte man mehr noch als zuvor das außergewöhnlich sensible, wendige und leichte Spiel von Boldoczki bewundern, das mit punktgenauen Staccato-Läufen und elegant geschwungenen Tönen einen fast vergessen lässt, dass diese von einer Trompete kommen.
Kein italienisches, sondern russisches Kolorit birgt das „Erinnerung an Florenz“ betitelte Streichsextett von Peter Tschaikowsky. Das nach seinem Florenz-Aufenthalt verfasste schwelgerische Werk wird nur selten aufgeführt, hauptsächlich wegen seiner Zusammensetzung aus je zwei Violinen, Violas und Celli. Der Gedanke, daraus eine Fassung für Streichorchester zu machen, ist nicht abwegig. Michael Sanderling verantwortete die neue Version, die von der Kammerakademie Potsdam mit viel Verve und Aplomb gespielt wurde. Lustvoll stürmten und fegten im ersten Satz heftige Böen durch die weiträumig ausgelegten Klänge. Ein schön altmodisch vibratoreich gespieltes Violinsolo (Roman Patocka) verband sich mit warmen, vergleichsweise schlichten Cellotönen (Ulrike Hofmann) im zweiten Satz. Doch insgesamt erzeugten die vervielfachten Stimmen der Streichergruppen bisweilen den Effekt von dickem Zuckerguss, besonders dann, wenn sie, wie recht häufig, im forte erklangen. Gelegentlich wirkte das wie eine Riesentüte Trüffelpralinés, beeindruckend und überwältigend, doch etwas überdimensioniert. Präzise erklang der vierte Satz mit seinem ausgeklügelten Fugato, dem höchst intensives Proben vorausgegangen sein muss – ein Bravourstück eifrigen und glänzenden Musikantentums, das mit rauschendem Applaus belohnt wurde. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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