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Kultur: Heike Hennig mit „Estha“ bei den Tanztagen

Eckige Bewegungen, schwere Körper, die sich nah am Boden drehen, verrenken zu lautem Drum n Bass. Vier Männer, barfuß, in einfarbigen Hemden und hellgrauen Anzughosen.

Stand:

Eckige Bewegungen, schwere Körper, die sich nah am Boden drehen, verrenken zu lautem Drum n Bass. Vier Männer, barfuß, in einfarbigen Hemden und hellgrauen Anzughosen. Dumpf schlagen die Körper auf, schwerfällig gehen sie in Breakdance-Bewegungselemente und schleudern sich wie beim Rock n Roll umeinander, träge. Mit Anlauf ein Bocksprung über Schultern und Kopf des Stehenden hinweg. Aus dem vollen Saal ein weibliches beeindrucktes „Boaah“. Stille. Kein sehr überzeugender Anfang, mit dem die Produktion „Estha“ der Leipziger Choreographin Heike Hennig sich bei den Tanztagen präsentierte. Das synchrone Tanzen war nicht immer synchron, den Bewegungen fehlten der tänzerische Fluss und die scheinbare Mühelosigkeit, die guten Tanz ausmachen. Gewollte Steifheit wirkte verkrampft und oft bangte man um das Gelingen schwieriger Abläufe. Doch im Verlauf des Stückes machten überraschende Situationen und ein vielfältiger Umgang mit den schweren Bühnenelementen aus Stahl die Mängel teilweise wieder wett. Dazu der geschmeidige Tanz von Filippo Armati, der die treibende Kraft in der Gruppe war. Vier lange Stahltische und vier Stahlhocker stehen auf der Bühne. Zunächst sind sie das Büro, in dem die Tänzer sitzen. Die kleinen Gesten des Büroalltags werden zur Choreographie. Synchron ausgeführt, zwanghaft. Bis sich die Lichtstimmung von Weiß zu Blau verändert, Wellenrauschen, Möwenschreie, und die gleichen Bewegungen langsam und rund werden. Als schwebten die Tänzer unter Wasser. Dann ein schneller, rasselnder, klickender Sound. Zwei Tänzer jagen sich um Tische und einen Hocker herum und hindurch (Frieder Tenschert, Filippo Armati). Unbegrenzt scheinen die Möglichkeiten, den Weg zu versperren, mit ins Kippen gebrachten Elementen zum Auffangen zu zwingen oder mit Gewicht, das fallen gelassen werden kann, zu bedrohen. Die vier Hocker stehen zum Turm übereinander gestellt, die Sitzflächen zeigen nach vorne. Dann gibt das Drehen eines Hockers den Blick ins Innere des Turms frei: ein Männertorso wie in einer Vitrine. Der Turm wird abgebaut, der Mann befreit und über der Schulter nach vorne getragen. Ein inniger Umarmungstanz beginnt, der umkippt in bösartigen Kampf. Ein Tänzer verfällt in mechanische Bewegungen. Er spricht die Anweisungen: „Rechtes Knie zieht nach oben.“ Sein Knie stößt zwischen die Beine des Partners, der ihn umarmt hatte. „Beide Ellenbogen nach hinten. Beide Handflächen vor.“ Die Hände donnern gegen den Partner und schubsen ihn brutal weg. Doch völlig willenlos, scheinbar fremdgesteuert, wie ein Maschine jenseits von Gut und Böse. Schließlich werden die Tische zur Abgrenzung von vier Zellen. Unerträglich hohes Fiepen, dann Stimmen über Lautsprecher, welche die Bewegungen der Tänzer beschreiben. Auch die Zuschauenden werden beschrieben. Der eine, so hörte man, schraube sich in, der andere über den Boden: „800 schlägt ein Rad unter der Erde.“ Was etwas ungelenk begann, führte zu einer Reihe beeindruckender und überraschender Situationen. Das Publikum klatschte lange, aber verhalten. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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