Kultur: Heimat – das sind nicht nur die Städte und Dörfer
Ausstellung im Brandenburgischen Kunstverein mit Künstlern aus Luzern
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Träge und ein bisschen bedrohlich zieht sie dahin, die dicke weiße Kumulus-Wolke vor den Alpenspitzen. Das Motiv ist tausendfach bekannt, auf Ansichtskarten gedruckt, es vermittelt die imposante Höhe der Berge und die Nähe zum Himmel, es ist ein Klischee des Alpenländischen. Ein Motiv, das man aus seinem Bergurlaub mit nach Hause nimmt und das sich eigentlich für die kreative Bildwelt verbietet, weil es so überaus bekannt und benutzt ist. Das macht Raphael Egli aber gar nichts aus, frisch malt er drauflos, die Farben legen sich in ihrer Falschheit ein wenig neben das tausendfach Reproduzierte und lassen so ein neues Bild im Kopf des Betrachters entstehen.
Die aktuelle Ausstellung im Brandenburgischen Kunstverein zeigt Werke von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern, die unter dem Titel „Heimatflimmern“ zusammengehalten werden. Das Ausstellungsprojekt wurde gemeinsam mit dem Kunstpanorama Luzern im Rahmen der Städtepartnerschaft organisiert; und während hier die schweizerischen Vorstellungen von Heimatflimmern zu sehen sind, haben die Luzerner Gelegenheit, sich mit den Arbeiten deutscher Künstler auseinanderzusetzen.
Eigentlich schade, dass die Konfrontation der Sichtweisen auf solche Entfernung erfolgt, interessant wäre ja die direkte Gegenüberstellung gewesen. Aber auch so hat der hiesige Heimatsuchende Gelegenheit, sich mit überraschenden Positionen auseinanderzusetzen. Raphael Egli schimmert mit seinen Ölbildern zwischen einer Wiederentdeckung der naiven Malerei und ihrer Ironisierung durch die veränderte Farbgebung. Da liegt auch mal eine bauchfreie Heidi-Gestalt in halberotischer Pose selbstversunken auf einer Decke vor dem Naturpanorama und schmust mit einem Kuscheltier. Man weiß nicht genau, soll man das Ganze als Wiederauferstehung der heiligen Schweizer Idylle lesen und gleich das Alpenglöcklein bimmeln hören, sich einen Louis-Trenker-Film anschauen und in unkritischer Einheit mit der heilen Welt verschmelzen oder soll man darüber lachen, was in den fünfziger Jahren einmal als Sinnbild der Friedlichkeit und des irdischen Glückes galt?
Jedenfalls thematisiert Egli auf diese Weise den Heimatbegriff nachdrücklicher als alle anderen. Er versetzt uns in Zweifel und erinnert an Zeiten der Verdrängung. Auch das kann Heimat sein. Die beabsichtigte Weise unästhetischer Skulpturen von Christian Herter beinhalten Relikte der Heimatverbundenheit wie Spazierstöcke, sie bilden aus kleinen Holzlatten und Plastikflaschen matterhornähnliche Gebilde, deren Spitze allerdings gefährlich nach unten hängt. Auf einer großen Tafel stehen in Reih und Glied, brav an der geraden Linie ihrer Straße, immer gleiche Häuschen mit dem immer gleichen, akkurat beschnittenen grünen Rasen. Das ist auch eine Art der Heim-Suche, die insbesondere in dem zugehörigen Video von Susanne Hofer und Marianne Halter als „Home Improvement“ ironisiert wird.
Geht man vom Ausstellungsraum in die zum „Souvenirraum“ umgebaute Black Box, fühlt sich in einen unaufgeräumten Dachboden versetzt. Das Sammelsurium aus Schäferhund und Adler, Fototapete und matten Luftballons, Rucksäcken, Puschen und Vogelhäuschen ist wohl die gelungenste Metapher von Heimat: eine unordentliche, flirrende, verwirrende Mottenkiste, die nach Entrümpelung schreit. Lore Bardens
Brandenburgischer Kunstverein, Brandenburger Str. 5, bis 2.12., Di-So 12 bis 18 Uhr
Lore Bardens
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