Kultur: Heimat im Rücken
Zum 60. Geburtstag des Schriftstellers Jürgen Israel
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Zum 60. Geburtstag des Schriftstellers Jürgen Israel Als der Student Jürgen Israel 1969 den damals verfemten Lyriker Peter Huchel in Wilhelmshorst besuchte, prophezeite der ihm: „Sie werden bald im Gefängnis sein“. Man mußte wohl nicht über die seherische Gabe Huchels verfügen, um zu erkennen, dass jemand wie Israel unweigerlich mit den eingefrorenen Verhältnissen jener Tage in Konflikt geraten würde. Mit zwei Jahren Haft bezahlte er wenig später seine Weigerung, sich dem Staat als Soldat zur Verfügung zu stellen. Ein Querulant, einer, der sich in allen Systemen querstellt, ein „Unbequemer“? Jürgen Israel ist nichts weniger als das. Als Lektor, Publizist und Autor im Getümmel des Betriebs, im dissonanten Chor sich überbietender Eitelkeiten, wirkt er eher wie eine Parsifal-Figur: neugierig statt allwissend, begnadet mit einer Offenheit, die jeden, der Naivität unterstellt, sofort mit Sachkenntnis beschämt. Diese Mischung aus Kompetenz und Unbefangenheit muss wohl auch die zahlreichen Schriftsteller beeindruckt haben, die Israel bereits in jungen Jahren kennenlernte. Mit Anna Seghers etwa, die er mehrfach besucht hatte, stand er im Briefkontakt. Einmal konnte er – selbst schon verabredet – die berühmte Autorin nur mit Mühe von dem Plan abbringen, das Weihnachtsfest gemeinsam mit ihr und ihrem Mann am Studienort des jungen Freundes zu verbringen. Später führte die Arbeit des studierten Altertumswissenschaftlers und Germanisten zu Begegnungen etwa mit der Dramatikerin Ilse Langner oder der Lyrikerin Marie-Luise Kaschnitz. Ein staatlicher Verlag wagte es nicht mehr, den einstigen Häftling anzustellen. Nach einem Intermezzo als Sekretär des Romanschriftstellers Heinrich Alexander Stoll in Thyrow wurde Israel als freiberuflicher Lektor tätig. In dieser Zeit kamen in kurzen Abständen sorgfältig edierte Bücher heraus, etwa die zweibändige Sammlung historischer Literaturbetrachtungen, deren Auswahl und Kommentierung nicht weniger vom profunden Wissen und der kennerischen Sicherheit als vom Geschmack des Herausgebers zeugen. Diese Arbeit bekam mit der Implosion des ostdeutschen Teilstaats eine neue Dynamik, in dichter Folge entstand etwa eine Anthologie mit Franziskuslegenden, ein Gustav-Schwab-Lesebuch und ein Buch mit Erzählungen Heinrich Alexander Stolls. Schon 1988, im Jahr seines Umzugs nach Neuenhagen an den Ostrand Berlins, war unter dem Titel „Novembersonne“ ein erster Band mit eigener Prosa und Lyrik erschienen, 2003 folgte ein weiterer Band mit Gedichten. Ich lernte Jürgen Israel vor zehn Jahren kennen. Mit ihm habe ich mein bisher kuriosestes Telefongespräch geführt. Es ging um ein Buch, in dem etwas nachzuschlagen war. Ich hatte des öfteren Probleme, die Bedeutung seiner vom oberlausitzer Idiom gefärbten, schnell dahinsprudelnden Sätze zu erfassen, und so hatte ich zu verstehen geglaubt, er würde nur kurz eben den Hörer ablegen, um das besagte Buch heranzuholen. Warum auch immer, glaubte er dasselbe auch von mir, und während wir angestrengt den Hörer ans Ohr preßten, beide zu höflich, den andern zu drängeln, vergingen Minuten, in denen wir uns erwartungsvoll anschwiegen. In Israels Lyrik haben solche Momente der Zeitlosigkeit Gestalt gefunden. Sie nehmen, wie im Titelgedicht des neuen Bands, ihren Ausgang im Alltäglichen, um ins Existentielle gewendet zu werden: „ICH DREHE MICH UM/ und habe die heimat/ im rücken./ Ich schließe die augen/ und fall in den tod.// Vielleicht dass am grunde/ ein schwarzes entzücken/ ein licht, eine lust/ ein ekel mir droht/ ein licht, ein entzücken". Morgen wird Jürgen Israel sechzig Jahre alt. Peter Walther Aus Anlass seines sechzigsten Geburtstages ist ein Gedichtband von Jürgen Israel erschienen ("heimat im rücken", mit einem Nachwort von Uwe Kolbe, Berlin, Druckhaus Mitte, 2004, 109 S.)
Peter Walther
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