Kultur: Heimatgefühl im Hier und Jetzt
Sigrid Grabner sprach in der „arche“ eigene Texte und die anderer Autoren über das Thema Heimat
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Auch Wörter besitzen eine Geschichte. Der Begriff „Heimat“ zum Bespiel erlebte im 20. Jahrhundert eine recht wechselhafte Karriere. Erst in jüngster Zeit besinnt man sich wieder auf diese Bezeichnung und seine Bedeutung. Die Potsdamer Autorin Sigrid Grabner stellte in der „arche“ zwei Texte mit einer Fülle von Reflektionen über das Konzept „Heimat“ vor. In bewusster Distanz zu überlieferten Vorstellungen fand sie dabei zu neuen Deutungen.
Während der Nazi-Diktatur war „Heimat“ ein häufig gebrauchtes Wort, das unter dem propagandistischen Deckmantel einer „Blut-und-Bodenromantik“ die imperialistischen Ziele der Regierung anheizen sollte. Selbst nach dem zweiten Weltkrieg existierte noch lange das Fach „Heimatkunde“ in den Schulen, viele Heimatbräuche wurden teilweise bruchlos weiter gepflegt. Doch besonders in den modernen Großstädten geriet der Begriff aus dem Gebrauch.
Erst jetzt, zu Beginn des 21. Jahrhunderts und im Zeichen der Globalisierung, scheint man sich erneut dafür zu interessieren. Ein Indiz dafür ist die Jahrestagung der Evangelischen Buchhändler im vergangenen Jahr. Sie drehte sich um das Thema „Heimat“, und dafür schrieb Sigrid Grabner ihren zweiten, vorgetragenen Text. In einem Essay zur Literaturlandschaft in der Mark Brandenburg hatte die Potsdamer Autorin erstmals den Begriff „Heimat“ behandelt, allerdings ohne, wie sie erklärte, ihn näher zu befragen.
„Wo Kinder sich angenommen fühlen, erfahren sie Heimat“ lautet eine erste Definition in diesem Text, der in dem Band „Vertraute Fremde“ im Potsdamer vacat-verlag 2002 erschienen ist. Für die eigene Erfahrung von Heimat brauchte es die Entfernung. Erst nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in Rom, den die „Organe der DDR“ zu Recherchezwecken gestattet hatten, begann Sigrid Grabner Wurzeln zu schlagen. Sie, die als Dreijährige mit ihren Eltern aus dem damaligen Sudetenland vertrieben worden war, begann sich in Brandenburg heimisch zu fühlen, trotz aller Widrigkeiten des politischen Systems, denen sie ausgesetzt war. Selbst und gerade gegen diese Unbilden setzte sie das Heimatgefühl.
Im zweiten, noch unveröffentlichten Text erweitern sich die Perspektiven beträchtlich und finden dennoch zuletzt zu einem sehr konkreten, humanen Konzept von „Heimat“. Bis es dazu kommt, schlägt Sigrid Grabner weite gedankliche Bögen durch die Zeiten und die Texte. Von der Bibel über Kirchenväter und Päpste kommen viele zu Wort, die etwas dazu gesagt haben.
Klar wird, dass „Heimat“ alles andere als selbstverständlich und natürlich ist. Als aktuelle Beispiele für ein konkretes Ringen um Heimat nennt Sigrid Grabner die Kämpfe der Prignitzer gegen die Zerstörung der Heide als Bombenabwurfplatz und der Bewohner des Lausitzdorfes Horno gegen die Abraumbagger. Echtes Heimatgefühl könne sich jedoch erst entfalten, wenn sich zur unmittelbaren Verbundenheit mit dem Raum, „ein Blick in die Tiefe, Weite, und Höhe menschlichen Seins gesellt“, schreibt Sigrid Grabner und zitiert Gedichte von Achim von Arnim, Nelly Sachs und Hilde Domin. Beides brauche der Mensch, heißt es, „die Erde, die seine Füße, trägt, und den geistigen Raum – ein Nicht-Ort, doch lebendig.“ Viel weniger als gemeinhin angenommen sei Heimat an Raum und Besitz gebunden, sondern zumindest ebenso an Zeit und Zwischenmenschliches. Nur da, wo man gewollt ist, verstanden und geliebt wird, sei man letztlich zu Hause.Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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