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Innerlich zerstört. Der Kriegsheimkehrer Beckmann, der sein Leben selbst beenden will, wird umringt von seiner lebensbejahenden Seite, die als siebenstimmigen Chor auf ihn einredet.

© HOT/HL Böhme

Kultur: Heimkehr in die Fremde

Studenten der Filmhochschule Babelsberg mit „Draußen vor der Tür“ auf der Bühne

Stand:

Mit einem Becher Popcorn vor der Wampe und permanent rülpsend amüsiert sich der Tod über die Kriegszenen, die in rascher Abfolge, mit heiterer Musik unterlegt, auf einer transparenten großen Plastikfolie gezeigt werden. Wenn sich die Menschen Krieg für Krieg gegenseitig umbringen, laufen seine Geschäfte glänzend. Das muss auch der liebe Gott einsehen, der in Gestalt eines gebeugten skurrilen Mütterchens auf die Bühne schlurft und lauthals das Schicksal seiner vielen, längst von ihm abgefallenen Kinder beweint, die auf den Schlachtfeldern sterben oder sich als Überlebende, zurück in der Friedensgesellschaft, traumatisiert und seelisch zerstört das Leben nehmen. Seltsam kuriose Erscheinungen sind sie, der Tod und der liebe Gott. Mit ihren roten Pappnasen und den etwas zerlumpten Kostümen scheinen sie einem Wanderzirkus entsprungen. Doch lässt ihr Auftritt eingangs schon all die Tragik und bedrückende Spannung erahnen, die in Wolfgang Borcherts einzigem Theaterstück „Draußen vor der Tür“ zum Ausdruck kommen. Am Donnerstagabend feierte das bekannte Heimkehrerdrama in der ausverkauften Reithalle seine vollends gelungene Premiere.

Für seine gemeinsam mit acht Schauspielstudentinnen und -studenten der Babelsberger Filmhochschule „Konrad Wolf“ erarbeiteten und gespielten Inszenierung hat Regisseur Peter Zimmermann den Borchert-Text gestrafft, wodurch das Stück, ohne dass die Momente betretenen Schweigens fehlen, in gut 80 Minuten ein höheres Tempo und auch mehr Dichte erreicht. Seine besondere Qualität entwickelt diese Inszenierung jedoch durch die Spielfreude und den Esprit aller acht, jeweils mehrere Rollen spielenden Akteure und insbesondere die Fünffachbesetzung der Hauptfigur Beckmann.

Beckmann, ein 25-jährige Unteroffizier, dem es nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien bei seiner Rückkehr nach Deutschland verwehrt ist, im Zivilleben wieder Fuß zu fassen. Nacheinander und mit ganz eigener Note spielen Maximilian Klas, Rick Okon, Jonathan Gyles, Marius Lamprecht und Michel Diercks diese abgerissene Gestalt mit dem staubigen grauen Feldmantel und der charakteristischen Gasmaskenbrille, die Beckmanns verzerrte Wahrnehmung aber auch Hilflosigkeit anzeigt. Durch diese Bündelung unterschiedlicher Persönlichkeiten in ein und derselben Figur wird das Schicksal etlicher vom Krieg Gezeichneter beispielhaft, und trotz des hier beibehaltenen historischen Kontextes, wird schnell offenbar, dass dieser „Beckmann“ auch in viele Kriegsschauplätze der jüngeren Geschichte verwickelt gewesen sein kann.

Eindrucksvoll und auf vielschichtige Weise zeigt diese Aufführung, was der Krieg mit den Soldaten gemacht hat, wenn sie wieder nach Hause kommen und statt Vertrautheit plötzlich Fremdheit vorfinden. Gemartert von Albträumen und Erinnerungen an die Kriegsgräuel stößt Beckmann auf jeder seiner Stationen auf Ignoranz und Verdrängung. Er sucht zunehmend verzweifelt nach Antworten, schreit seine Anklagen heraus und bleibt außerhalb der Gesellschaft – dargestellt durch ein hell erleuchtetes Podest, das von zwei Stuhlreihen flankiert wird, darauf die Schauspieler selbst wie Zuschauer sitzen. Das Draußen ringsum, die Welt Beckmanns, ist in Dunkelheit getaucht. So spärlich das von Martin Scherm entworfene Bühnenbild, so wirkungsvoll konzentriert bringt es das Geschehen zur Geltung. Da beschließt Beckmann, sich zu ertränken, jedoch will die durch Janina Stopper und Mateja Meded personifizierte Elbe dessen armseliges bisschen Leben nicht. „Der Andere“, Beckmanns gutwillige, lebensbejahende Seite umringt als sonnenbebrilltes Kollektiv mit aufgespannten Regenschirmen den Lebensmüden und redet im siebenstimmigen Chor auf ihn ein.

In einer weiteren Rolle überzeugt Janina Stopper als „das Mädchen“, das, innerlich zerrissen, Beckmann für kurze Zeit das Glück der Zweisamkeit spüren lässt. Starke Momente sind auch die Auftritte des Obersts (Michel Diercks), der im rosa Rüschenhemd mit seiner Frau (Mateja Meded) auf dem Podest gebärdenreich tanzt und Beckmann rät, mit seinen Klagen doch zum Kabarett zu gehen. In seiner Tragikkomik herausragend ist dann auch dieser von Jonathan Gyles verkörperte Beckmann, der sich, völlig betrunken, dort erwartungsgemäß eine Absage einholt. Glänzend, mit der perfekt in Szene gesetzten eiskalten Aura einer Managerin spielt Amy Mußul die Kabarettdirektorin, so wie sie später, in Beckmanns Albtraum, ebenso präsent wieder als wehklagender lieber Gott auftaucht, während der Tod (Rick Okon) diesmal als Straßenkehrer mit einem Besen die Bühne fegt. „Nimm mich mit!“, ruft Beckmann ihm noch hinterher, bevor er erwacht und bald in Sängerpose an einen Mikrofonständer tritt, eine letzte Klagerede hält und in die Stille hinein vergeblich fragt, ob denn keiner antworten wolle.

Ein paar Atemzüge lang hat diese Stille Bestand, bevor sie am Ende dieser wuchtig intensiven, an vielen Stellen berührenden, doch immer wieder auch grotesk-komischen, durchweg überzeugenden und großartigen Inszenierung jäh in einen lang anhaltenden Applaus umschlägt.

Wieder am Donnerstag, 20. Dezember, 18 Uhr, in der Reithalle in der Schiffbauergasse

Daniel Flügel

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