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Von Peter Buske: Heimwerkelnde Erosdienstleisterin Premiere von Georg Friedrich Händels

Zauberoper „Alcina“ bei der „Potsdamer Winteroper“

Erst hat sie ihn zur Sau gemacht, dann ist er auf den Hund gekommen, schließlich degradiert er sie zur Schnecke. Natürlich nur sinnbildlich, denn all diese tierischen Verwandlungsformen finden sich optisch in der vierstündigen, ungekürzten und italienisch gesungenen Inszenierung von Händels Zauberoper „Alcina“ nicht wieder. Im Rahmen der „Potsdamer Winteroper“ erlebte sie am Donnerstagabend im Schlosstheater im Neuen Palais ihre stürmisch gefeierte Premiere. Freilich mischten sich auch Buhrufe für das Inszenierungsteam darunter. Lag es daran, dass Regisseur Ingo Kerkhof den Zuschauern alle zauberischen Zutaten von Händels Liebesinsel verweigerte, stattdessen auf die Seelenanalyse der Protagonisten setzte?! Mit Folgen. Woher die Titelheldin ihre magischen Kräfte eigentlich bezieht (im Original ist es eine gralsähnliche Urne), teilt sich nun nicht mehr mit. Auch andere Händel-Accessoires fielen der Kerkhofschen Neudeutung zum Opfer.

Dafür fasziniert seine Personenführung umso mehr. In kaum ausufernder szenischer Aktion entsteht ein psychologisch motiviertes Kammerspiel über Liebe, Eifersucht, Treue, Hass, Zweifel, Hingabe, Rache, Liebesverblendung Insulare Abgeschiedenheit mit reizvollem Ambiente gibt es nicht zu sehen, dafür eine schäbige, einzimmerige Sozialwohnung: mit blätternder Wandfarbe, einem Liegendreisitzer aus den 70er Jahren und einem mit Frühstücksutensilien unordentlich überquellenden Küchentisch. Schiebetüren geben Fluchtwege frei, die quasi in schwarze Löcher führen. Eine die Sinne verführende Ausstattung (Anne Neuser) sieht anders aus. Die Protagonisten, darunter drei Hosenrollenvertreterinnen, tragen heutige Straßenkleidung, in denen sie sich sichtlich wohlzufühlen scheinen (Kostüme: Stephan von Wedel).

Bei der erotischen Bodengymnastik geht es sehr direkt zu. Man umsteht die Lotterstätten, beobachtet neugierig das Geschehen. Ein höchst gegenwärtiges Verhalten. Affekte entladen sich nicht nur per virtuoser Sangeskunst, sondern auch in derben Gesten und sonstigem coolem Jugend-Gehabe. Davon macht der liebestolle, von Alcina (Maria Laura Martorana) bezirzte, in seinen Gefühlen hin und her gerissene Ruggiero (Franziska Gottwald) reichlich Gebrauch. Spielerisch ganz auf Kerl getrimmt, begeistert sie/er mit sehr beweglichem, barockerfahrenem, koloraturenflinkem, ausdrucksstarkem und voluminösem Mezzosopran. Den diversen Affekten ist sie eine überaus ausdrucksstarke Sachwalterin. Sich aus Alcinas Schlingen zu befreien, bereitet ihr/ihm sichtlich Mühe. Bravourös der gestalterische Einsatz in der finalen, rasant gesungenen „Tiger“-Arie.

Nicht immer erbetene Unterstützung erfährt Ruggiero durch seine Verlobte Bradamante (Hilke Andersen) nebst deren Begleiter Melisso (Marián Krejcík), die in der Verkleidung ihres Bruders alle List und Überredungskunst aufbieten muss, um ihn wieder ins reale Leben eines Kriegers zu holen. Ihr lyrischer Mezzo glüht und leuchtet facettenreich, weiß die Seele zu erwärmen. Und auch vor Rachegelüsten koloraturenrasant zu toben. Nicht weniger gefühlsberstend, als quecksilbrige, flinkstimmige Soubrette tollt Melanie Hirsch als Alcinas Schwester Morgana durch die Szene. Leicht und leuchtend entströmen ihrer geläufigen Gurgel die anmutigsten Töne. Mit ihrem Galan Oronte (Thomas Michael Allen), geschniegelter Pedant in herrlichstem Oberlehrer-Butler-Gehabe, hat sie ständig Zoff, was sich im Eifersuchtsduett und Fechtkampf köstlich ansieht und anhört. Auch wird Oronte, wie fast alle anderen, von einem – brillant gesungenen – Wahnsinnsanfall heimgesucht.

Knabenhaftes Spiel und kunstfertigen Gesang weiß Olivia Vermeulen für den Jüngling Oberto einzubringen, der unentwegt seinen verzauberten Vater sucht und sich herrlich verlegen bei der Begegnung mit Alcina zeigt. Da ihr die Regie jegliche Zauberei versagt hat, bleibt sie eine heimwerkelnde Erosdienstleisterin, die sich sehr um ihre Erfolgsprämie, sprich: Ruggiero, mühen muss. Sie zeigt sich ihm als kühle Spröde, durchtriebenes Luder, berechnende Zicke. Die stimmliche Wandlungsfähigkeit dafür hat sie jedoch nicht parat. Ob rasend oder seufzerreich klagend: in der Höhe wird ihr Sopran flackrig und schartig, gewinnt sich ein unschönes Tremolo hinzu. Das finale Lamento dagegen singt sie sehr anrührend. Dennoch: die Rolle kommt ihrer Stimme zu früh.

Und die Musik? Deren stilles Leuchten erklingt durch Mitglieder der Kammerakademie Potsdam im natürlichen Fluss ihres Pulses und der Sänger Atem, angeleitet vom cembalospielenden Dirigenten Andrea Marcon. Die Tempi wirken nicht überhetzt, sind dennoch von Spannung erfüllt. Die Musiker zeigen sich affektbewusst, feinheitsbedacht, dynamisch differenziert. Ritter, Krieger, Geister und Volk sind von der Szene verbannt. Unsichtbar singen sie als Neuer Kammerchor (Einstudierung: Ud Joffe) ihre beiden „Auftritte“.

Heute, 15 Uhr, Schlosstheater im Neuen Palais, Park Sanssouci.

Peter Buske

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