Kultur: Heiß und lau gestritten
Um die Frage, wie menschlich wir als Gesellschaft sein wollen, ging es 2015 in Potsdam auch. Am schönsten streitet es sich jedoch ums Geld
Stand:
Kultur entsteht immer erst da, wo sich die Dinge reiben. Im Streit. Die Summe allen künstlerischen Schaffens wäre nichts ohne die Auseinandersetzung darüber. Wer sich nicht mehr streitet, hat resigniert, das Gegenüber aufgegeben. Gute Nachricht zum Jahresende deshalb: Die Potsdamer sind sich nicht egal. Gestritten wurde genug im vergangenen Jahr. Mal mehr, mal weniger fruchtbar.
Flüchtlinge. Das Thema hat das Jahr bestimmt. Wie können wir den Männern, Frauen und Kindern helfen, die vor Terror und Armut fliehen – können wir es überhaupt? Als Chefinstanz für das Umwälzen gesellschaftlicher Fragen haben sich die Theater etabliert. Zu Recht hat also das Hans Otto Theater unter seinem neuen Dramaturgen Christopher Hanf eine neue Debatten-Reihe ins Leben gerufen. „Welches Land wollen wir sein?“ hieß die Auftakt-Veranstaltung Ende November, bei der neben der Philosophin und Direktorin des Einstein-Forums, Susan Neiman, auch Autor Ingo Schulze und der Soziologe Harald Welzer diskutierten. Das einzige Problem: Alle waren sich irgendwie einig. Klar: Es ist in der Tat großartig, dass sich viele Menschen ehrenamtlich organisieren, um den Ankommenden zu helfen. Es ist schlimm, dass staatliche Strukturen teils versagen. Die Würde der anderen achten, Empathie zeigen, Nächstenliebe – wer sollte etwas dagegen haben? Wen sollte man einladen, der eine andere Meinung vertritt? Einen Nazi? Wohl besser nicht. Aber wenn alles so eitel ist, wie Welzer es gerne sehen wollte – warum dann überhaupt diskutieren? Oder worüber? Nicht jedes Thema, lernte man an diesem Abend, eignet sich zum Streit.
Das Gitter. Am schönsten – weil unsinnigsten – streitet es sich immer noch über Geschmack. Davon handelt die Kunst oft. Die Architektur in Potsdam insbesondere. Zu einem luftigen Liebling hat sich dabei das Gittergeländer im Potsdam Museum entwickelt. Das ist Kunst und kann weg: So entschied zumindest der Kulturausschuss im September – nachdem die Geschichte des Gitters schon lange zur Realsatire geworden war. Seit der Inbetriebnahme des sanierten Potsdam Museums im Alten Rathaus fühlten sich einige dadurch behindert – und zwar in ihrer freien Sicht auf das neue Stadtschloss. Es sei hässlich, einengend und versperre den großartigen Blick aus der Fensterfront hinunter auf den Markt und den neuen Landtag. Tatsächlich hat der Architekt wohl etwas eigenmächtig gehandelt. Das Gitter jedenfalls ist – laut Gutachten der Anwaltskanzlei Boehmert & Boehmert – ein urheberrechtlich geschütztes Kunstwerk. Eigentlich lustig, ginge es nicht um viel Geld. Rund 50 000 Euro oder mehr soll der Rückbau kosten – wer das bezahlen soll, ist noch unklar. Geplant sind die Arbeiten für 2017.
Panzerhalle. 50 000 Euro, damit könnte man andere Menschen in Potsdam sehr, sehr glücklich machen. Die Künstler in den Ateliers der Panzerhalle in Groß Glienicke etwa. Die Mieten dort sollen auf 5,21 Euro warm pro Quadratmeter angehoben werden. Das heißt konkret: Ein Atelier kostet jetzt statt 107 Euro im Monat etwa 189 Euro. Das klingt wenig, ist für einige der ohnehin in prekären Verhältnissen lebenden Künstler aber entscheidend. Nicht alle werden sich die Räume künftig noch leisten können. Ausgelöst hatte die ganze Misere übrigens der ehemalige Stadtverordnete Andreas Menzel, der sich an die Kommunalaufsicht des Landes gewandt hatte. Die prüfte – und gab der Stadt den „deutlichen Hinweis“, dass der zuständige Kommunale Immobilienservice keine Form von verdeckter Kulturförderung leisten darf.
Rechenzentrum. Um den Künstlern dennoch zu helfen, wurde das ehemalige Rechenzentrum an der Breiten Straße in der Innenstadt für Kreative zur Verfügung gestellt. Ateliers und Büros mitten in der Stadt. Platz für Dialog und Ausstellungen. Aber nicht für die vielen – seit dem Leerzug der Alten Brauerei obdachlosen – Potsdamer Bands. Denn: Als Proberäume sind die alten Büros des Rechenzentrums völlig ungeeignet, der Lärmschutz ist unzureichend, es existiert quasi keiner. Dabei gibt es Anfragen von rund 15 Bands, die hier gern einziehen würden, sagt Andreas von Essen, Geschäftsführer der Stiftung SPI, die das Rechenzentrum betreut. Das Problem: Laut Pachtvertrag darf nicht mehr in das alte Gebäude investiert werden, die Mietverträge sind auf drei Jahre beschränkt. Warum? Damit hier vielleicht – irgendwann – das Schiff der Garnisonkirche gebaut werden kann. Oder etwas anderes, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) gerade im PNN-Interview sagte.
Bürgerbühne. In Potsdam stritten dieses Jahr nicht nur Potsdamer – sondern auch der Deutsche Bühnenverein. Zwei Tage lang ging es im Hans Otto Theater darum, wie die Bühnen selbst mit politischen Herausforderungen umgehen wollen. Das Urheberrecht war genauso Thema wie die Frage nach der Anbindung der Zuschauer. Wer mitmacht, mitdenkt, bindet sich emotional natürlich ganz anders an ein Haus, aber auch an die Idee des Theaters, als jemand, der „nur“ konsumiert. Eine Bürgerbühne, das sagt auch Intendant Tobias Wellemeyer, wäre ein Traum – allerdings koste die Bürgerbühne in Dresden, nur zum Vergleich, eine Million Euro im Jahr. Die muss man erst einmal haben. alm
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