
© Obelisk
Von Gerold Paul: Heiter, harmlos, schunkelig
Andrea Meissner mit ihrem Programm „Gerüchteküche“ im Kabarett „Obelisk“
Stand:
Das Verhältnis zwischen Kabarett und Comedy ähnelt dem Proporz von Operette und Musical – da etwas mehr Tiefsinn, hier ein wenig mehr Unterhaltung. Andrea Meissners nicht mehr ganz taufrisches Programm „Gerüchteküche“ hat wohl von allem etwas, Tief- und Hochsinn, Langmut und Kurzweiligkeit, Originale und Kopien, Text und Liedbeiträge, Gerades und Schräges, Amüsements und machtvolle Gähn-Partien.
Titelgebend will es zuerst die Ondit-Schiene bedienen, Gerüchte aller Art, was die Sache mehr und mehr „politisch“ macht, wenn man es nur zulässt. Bar-Tisch und Hocker, Leinwand und Notenständer sind die Requisiten im Kabarett „Obelisk“, Dampf ist nicht dabei, den macht die „Gerüchtsvollzieherin“ schon selbst. Weitere personae dramatis sind ihr „Gerüchtsgehilfe“ Emil an der Technik, der immer zum falschen Zeitpunkt anklingelnde Gatte Rudi – und natürlich das Publikum, mit dem „das Superweib Andrea“ singt und lacht und schunkelt, völlig ungefährdet als Nummer Eins im laufenden Programm.
Was den Statthaltern im Kabarett „Obelisk“ aber ihr hochgeschätzter Koschuweit, ist bei ihr der leibhaftige wie dienstfertige Herr Lehmann in der Ersten Reihe: „Bitte bringen Sie mir doch mal diese Blumen! – Ach, Herr Lehmann, das ist aber nett, Sie bringen mir ja Blumen auf die Bühne...!“ Nichts wäre geeigneter, Gerüchte zu verbreiten, als die dazugehörige „Tritsch-Tratsch-Polka“ aus dem Hause Strauss mit Refrain „Ich verbreite alles“, sogar die Mär von Victoria Beckham, sie hätte in einer Woche fünf Pfund abgespeckt – vor allem am Gehirn. Na ja. Lieblingsgerücht einer bildernden Zeitung: „Mutter dreht Kinder durch den Fleischwolf, Wir sprachen mit den armen Würstchen!“ Und dann verteilte sie welche im Publikum, Zeitungen natürlich.
Von den Filmbeiträgen überrascht einer die Amy Winehouse alias Andrea Meissner bei sich daheim, „Love me, tender“ lallend, der andere stammt von ihrem Sohn, die Geburt der berühmtesten aller Bananen dokumentierend. Von den Gerüchten schwappten völlig folgenlos herüber: die Mär vom Endsieg 1945, das Gerücht von der nicht gebauten Mauer 1961 und ihrem Gegenteil, der Maueröffnung, welches Herr Schabowski aber durch seine voreilige Pressekonferenz leider vermasselt habe, so wurde kein Gerücht daraus.
Leider hingen diese Textbeiträge genau so in der Luft, wie das Telefonkabel, aus dem dieselben entströmten. Warum nur fand die immer so kecke und zungenflinke Kabarettistin nicht ein paar dicke Brocken aus Potsdam, dass zum Beispiel die Staatskanzlei (viel zu spät!) nach dem Westen abhauen will, die Krönung eines Königs längst beschlossene Sache ist, wenn nur das Stadtschloss erst steht oder, wie bitter, das „Obelisk“ schließt, wegen Zahnlosigkeit in crescendo. Das Thema „Gerüchteküche“ ist doch das dankbarste Feld für solche Enthüllungen.
Die Solistin aber hielt sich zunehmend an comedyverpackte Parodien, plauderte sich, stets die Alte, fast die Seele aus dem Leib: Nach zwölf Jahren das erste mal Sex – da müsse man den Kachelmann doch anzeigen! Auch ein geschlechtsgetrenntes Stöhnerchen gehörte dazu, Orgasmus-Ersatz im Kollektiv, das Publikum macht ja auch wirklich alles mit. So ging das bis um Neun, heiter, harmlos, schunkelig. Auch ein paar Gerüchte in spe waren noch dabei, zu den Prostata-Rentnern, die nun Zeit genug zum Brunzen hätten, zur Steuerreform und Rente ab 68 – oder war es per Fama das Achtundachzigste?
Von Gerüchten um die Merkel-Regierung hörte man nichts, auch nichts von deutschen Soldaten in Mittelost oder von der Eurokrise. Nur Latrinenparolen. Wie sagt das Sprichwort doch: „Bös’ Gerücht nimmt immer zu, gut’ Gerücht kommt bald zur Ruh“. Auch wenn es eigentlich ganz hübsch war: Andrea Meissners Küchenmärchen fehlte nicht nur der Dampf, sondern auch noch die Küche. Ihr Breichen war nach dem Rezept „Bitte recht freundlich“ gerührt, da sollte nichts anbrennen. „Bitter“ wäre besser gewesen. Ein paar Verbal-Injurien in die lichten Fernen, etwas Körperbetonung südwärts, es war so urgemütlich bei Meissners Gerüchtsversammlung. Mein Gott, wo ist bei diesen Leuten bloß der Biss von damals geblieben?
Zuletzt sang sich das Publikum mit dem selbstgeschriebenen Epilog heiter nach Hause: „Frau Meissner wird’s schon richten, Frau Meissner macht’s schon gut, Frau Meissner ist bezaubernd, einfach super bis aufs Blut...“ Ob das ihr letztes Gerücht am Abend war – oder vielleicht gar das jüngste? Ach, man weiß es ja nicht.
Am 29. und 30. Juli auf dem Theaterschiff in der Alten Fahrt, jeweils 20 Uhr.
Gerold Paul
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