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Von Peter Buske: Heiterer Kehraus und ein Sprachpoet

Ausflug ins „Wiener Kaffeehaus“ sowie Feuersinfonisches zum Finale am Neuen Palais

Stand:

„Zum Railjet nach München bitte einsteigen. Dort haben Sie Anschlüsse an den Thalys nach Bruxelles mit Umsteigen in den Eurostar nach London St. Pancras International“, tönt es jeden Morgen auf dem Wiener Westbahnhof. In fünfzehn Stunden ist man am Ziel seiner Wünsche. Wählte man allerdings die Route über Potsdam, benötigte man 28 Stunden. Wer wie Haydn im Januar 1791 von Wien aus in die britische Metropole aufbricht, muss sich auf mindestens acht Tage körperunfreundlicher Postkutschenholperei nebst Kanalüberfahrt einstellen. Willkommener Anlass für die Musikfestspiele, ihr OpenAir-Abschlusskonzert auf der Mopke hinter dem Neuen Palais unter das beschwerliche Reisethema zu stellen. Zirka 2500 Musiktouristen nehmen an Haydns Reise und London-Aufenthalt teil. Die Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Michael Sanderling sorgt für die musikalische Begleitung und Abwechslung.

Posthornsignale, von Florian Dörpholz in Postkutscheruniform geblasen, geben das Zeichen zum Aufbruch. Folgt das Allegro aus Haydns D-Dur Sinfonie Nr. 31 „mit dem Hornsignal“, in vierfacher Ausführung. Frisch und munter, mit vielen flinken Flötenläufen versehen, erklingt es. Hörnerklang bestimmt auch Mozarts „Proviant“-Mitgabe in Gestalt von Sechs Deutschen Tänzen KV 509. Leichtfüßig scheinen sie über das imaginäre Parkett zu schweben, um wenig später wirbelnd oder stampfend gehörig Eindruck zu schinden. Auch ein Deutscher aus Beethovens Feder zeigt sich sehr beschwingt.

Die Kammerakademie musiziert gelöst und mit jener Leichtigkeit, die den Wiener Klassikern bei diesem heiteren Festspiele-Kehraus angemessen ist. Dabei erhalten sie fein austarierte Unterstützung durch die Tontechnik! Davon profitiert auch der Solist Sergej Nakariakow, der sich in Haydns virtuosem Es-Dur-Trompetenkonzert nicht als bläserischer Muskelprotz, sondern als tonaler Schönheit mit schier unendlichem Atem entpuppt. Mühelos bewältigt er beim herrlich gelösten Musizieren mit der Kammerakademie exorbitante Intervallsprünge, brilliert mit eleganten Legatolinien (Andante), begeistert mit klaren, weich angesetzten Stakkati. Weitere virtuose Feinkost gibt es als Zugabe: die Bravourvariationen über „Mein Hut der hat drei Ecken“.

Nach der Pause begleiten wir Haydn in London, mit fachkundigen Erläuterungen reich versehen (Wilhelm Matejka). Überraschungsreich, federnd und kontrastbetont (Andante!) erklingt die „Surprise“-Sinfonie Nr. 94 G-Dur, besser bekannt als „mit dem Paukenschlag“. Nach den ersten beiden Sätzen singt die argentinische Sopranistin Veronica Cangemi voller Leidenschaft die von reichlich Wahnsinn und singtechnischen Tücken erfüllte Konzertszene „Berenice, che fai?“ Nach dem Variationensatz aus dem „Kaiserquartett“ zündet Haydn mit dem Finalsatz seiner „Feuer“-Sinfonie Nr. 59 seinen pyrotechnischen Beitrag, der sich mit dem Feuerwerk von Olaf Gödeke aufs Beste verbindet.

Statt Einspänner, Nussbrauner, Kapuziner oder Schale gold gab es nur das globalisierte Angebot: Latte macchiato, Espresso, Cappuccino, Café Latte... Man musste sich halt bescheiden bei diesem Ausflug „Ins Wiener Kaffeehaus“, mit dem die Musikfestspiele am Tage ihres Finales ein Stück von austro-gastro-literarischer Einmaligkeit ins Blickfeld rücken wollten. Dafür war das Restaurant „Le Manège“ mit seinem sachlich unterkühlten Interieur auserkoren, in dem vereinzelte Bistrotische und ein Fünf-Euro-Gebinde – bestehend aus einer Tasse Melange und einem Stück Sachertorte – kaum für Wienerisches Flair sorgen konnten. Dafür garantierte jedoch Burgschauspieler Michael Heltau, der für den vorgesehenen, aber kürzlich verstorbenen Fritz Muliar einsprang. Zur Erinnerung an ihn ertönte aus den Boxen noch einmal dessen Stimme mit dem „Traktat zum Wiener Kaffeehaus“ von Friedrich Torberg.

Mit einem gefälligen musikalischen Kaffeehausstückerl, dem noch so manches andere Kitschschmankerl und Altwienerlied folgte und die allesamt von Roland Kühne, Solopianist in Berliner Luxushotels und auf deutschen Kreuzfahrtschiffen, vorgetragen wurden, eröffnete sich Heltaus Hommage an das Wiener Lebensgefühl. Durch des Sprachpoeten suggestive Ausstrahlung und unnachahmliche Vortragsweise sind legendärer Wiener Charme und Schmäh höchst gegenwärtig. Und wenn er gar „Im Prater blüh’n wieder die Bäume“ oder „Sag’ beim Abschied leise Servus“ mit chansonesker Intensität singschauspielt, liegt man dem Interpreten förmlich zu Füßen.

In vergnüglich anzuhörenden Briefen von Starmime Josef Kainz und Texten des Intendanten Max Reinhardt, pointenreichen Lebensweisheiten und Aphorismen aus der Feder von Egon Friedell oder witzigen Anmerkungen des Kaffeehausphilosophen Peter Altenberg lässt Michael Heltau durch seine sprachliche Verführungskunst ein vergangenes Jahrhundert wieder auferstehen. Facettenreich, mit melodisch geprägter Rhetorik voller theatralischer Lausbüberei. Er erzählt und liest vor, als ob er Musik rezitierte. Man kann sich an ihm nicht satthören!

Genüsslich lässt er Bonmots und Pointen auf der Zunge zergehen, schlägt in einem Auszug aus Joseph Roths k.u.k.-Sittenbild „Radetzkymarsch“ aber auch leise und melancholische Töne an und rückt mit einem Brief von Haydn, der das Kaffeehaus auch häufig aufsuchte, den Jahresjubilar und Themenpatron der zu Ende gegangenen Musikfestspiele selbst zwischen Sachertorte und Wiener Melange ins Bewusstsein der beifallsfreudigen Kaffeehausgäste.

Peter Buske

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