Kultur: Hellwache Schlaftherapie
Internationaler Orgelsommer Potsdam: Marek Toporowski in der Erlöserkirche
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Wie bekämpft man Schlaflosigkeit? Heutzutage mit Pillen und Pülverchen, anno dazumal mit Musik. Darauf schwor jedenfalls Hermann Carl Graf zu Keysserlinck, ehemaliger russischer Gesandter am kursächsischen Hof zu Dresden. Wenn ihn der Schlaf floh, musste ihm sein Hauspianist (und Bach-Schüler) Johann Theophilus Goldberg auf dem Cembalo etwas vorspielen, um ihm die Stunden erträglicher zu gestalten.
Doch woher die vielen benötigten Werke nehmen? Also bat der Graf seinen Komponistenfreund Bach, ihm für seinen Goldberg einige Klavierstücke zu schreiben. Sie sollten, so hat es Johann Nikolaus Forkel überliefert, „sanften und etwas munteren Charakters“ sein, auf dass er dadurch ein wenig aufgeheitert würde.
Gesagt, getan und ein Stück namens „Aria mit verschiedenen Veränderungen vors Clavicimbal mit zwei Manualen“ geschrieben. Im Jahre 1742 erschienen sie als vierter Teil der „Klavierübung“ im Druck. Als „Goldberg-Variationen“ BWV 988 gingen sie in die Musikgeschichte ein. Nicht bekannt ist, ob der Graf beim Hören einschlafen konnte oder nicht. Jedenfalls erhielt der Tonsetzer einen goldenen Becher, gefüllt mit einhundert Louisdor. Dass Musik durch ihre oft beschriebene Gemütsergötzung tatsächlich therapeutisch zu wirken versteht, beweist sich in diesem Falle auf exemplarische Weise. Hellwach und technisch versiert müssen auf jeden Fall all jene sein, die sich des opulenten Opus annehmen.
Wie der polnische Organist Marek Toporowski, der es im Rahmen des Internationalen Orgelsommers in der Erlöserkirche spielte. Voller klanglicher Delikatesse breitete er das Variationenwerk in den phantasiereichsten Registrierungen aus, derer die diesmal ganz cembalonah klingende Schuke-Orgel verfügt.
Seine gelenkigen Finger begaben sich auf eine geradezu lustvolle Entdeckungsreise in jene Regionen der Bachschen Überraschungen und unvorhergesehenen Einfälle, die einem atemberaubenden Abenteuer gleich kommen. Nachdem das Thema, eine zarte, im ruhigen Dreivierteltakt sich wiegende Sarabande, trillerreich in sanft klingenden Flötenregisterstimmen verklungen ist, folgen die vergnüglichen und kontrastbetonten Verwandlungen, dreißig an der Zahl. Jede dritte erscheint dabei als Kanon – beginnend all“Unisono bis hin zur None. Dazwischen tummeln sich die unterschiedlichsten Formen: Inventionen, Toccaten, Arien
Bachs Lust am Spiel, an der fortschreitenden Entwicklung vom Einfachen zum Komplizierten findet seine Entsprechung im klangfarbenreichen, gedankenklaren Nachvollzug durch Marek Toporowski. Er formt aus den kürzesten Passagen regelrecht kleine Charakterstücke: lyrisch, pathetisch, kapriziös, liedartig, sentimental, etüdenhaft, virtuos
Er zeigt sich metrisch sehr versiert, liebt die spannende Phrasierung, die lebendige Artikulation. Wie eine Flötenuhr a la Mozart hört sich die Variatio 3 an, leicht spröde die folgende. Als Muntermacher kommt die 15. daher, mit kolorierten Trillerketten die 29. Variation. Sprünge, Akkordvibrato der leichten und starken Art, filigranes Auftrumpfen und freudige Erregung – es ist an alles gedacht. Nur nicht an Schlaf. Herrlich. Ihm dankt herzlicher Beifall.Peter Buske
Peter Buske
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