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Kultur: Hemdsärmelig und laut

„White Christmas“ mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg im Nikolaisaal

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„White Christmas“ mit dem Deutschen Filmorchester Babelsberg im Nikolaisaal Als sie zur Krippe nach Bethlehem eilten, um dem neugeborenen Christuskind ihre Aufwartung zu machen, hatten die drei Könige (oder waren es Weise aus dem Morgenland?) Weihrauch, Gold und Myrrhe in ihrem Reisegepäck. Viel ist seither darüber geschrieben und gesungen worden. In der Vorweihnachtszeit werden die Überlieferungen sowohl in Kirchen als auch in Konzertsälen ausgebreitet. Während es in ersteren gläubig jauchzt und frohlocket und die Tage gepriesen werden, gibt es in letzteren eher weltliche Offerten zu begutachten. Wie beispielsweise im Nikolaisaal, wo das Deutsche Filmorchester Babelsberg unter der Leitung des dirigierenden und moderierenden Scott Lawton ein Angebot der etwas anderen Art bereithielt: die amerikanische Variante des Weihnachtsfestes als „White Christmas“. Dabei schien es, als hätten sich die Heiligen Drei Könige in Abteilungsleiter der Supermarktkette Wal-Mart verwandelt. Offen und direkt, lautstark und hemdsärmelig priesen sie an, was Traum-Theke („I''m dreaming of a white Christmas“) und Melodieregal in der Kitschwarenabteilung im Angebot hatten. Es war in einer neudeutsch als „Songlist“ bezeichneten Aufstellung gelistet. Irgendwann erklang irgendwas davon. Fleißig hatte die Dramaturgie die Texte in Englisch abgedruckt, die deutsche Übersetzung jedoch glatt vergessen. Hätte es sie gegeben, wäre das Mitlesen ohnehin schwierig geworden, denn das Licht der Pultlampen auf dem Podium langte nur zu einer schummerigen Saalbeleuchtung, nicht aber zum Erkennen irgendwelcher gedruckter Programminformationen. Damit das Gemüt des Hörer-Konsumenten nicht in weihnachtlicher Gefühligkeit versinke und ertrinke, waren die Verstärkerregler für die Lautsprechertürme (aus denen Orchester und Gesangssolisten vereint hervorklangen) sehr weit aufgedreht. Man fühlte sich gleichsam wie im weihnachtlich beschallten Kaufhaus. Die Lautstärke erschlug jede Stimmung, ein Entkommen war schier unmöglich. Das Vorurteil von den lauten und aufdringlichen Amerikanern, hier mag es sich manchem Hörer erneut bestätigt haben. Andere sahen das Unbescheidene und Gradlinige dieses Menschenschlages eher als einen Vorteil an. Nicht von des Gedankens alteuropäischer Blässe angekränkelt, sang, moderierte und musizierte man wie die netten Naturburschen von der Texas-Ranch nebenan. Dabei bevorzugten sie die musikalischen Stilbrüche, verwandelten das „Stille Nacht“ in der Art des legendären Boston Pops Orchestra in eine „Silent Night“, schmalzten französische Melodievorbilder zur „O Holy Night“ auf, garnierten anderes mit swingendem Jazz. Die Sänger, aufgereiht hinter Pulten und vor Mikrofonen stehend, verstanden es, den fast ausverkauften Saal von Anfang an in Stimmung zu bringen. Was einst im Music-Hall-Stil geschrieben worden war, trug die schauspiel- und musicalerfahrene Kara Johnstad (Sopran) mit großer Stimmgeste vor. Tenorkollege David L. Oliver (aus dem Chor der Staatsoper Berlin) erwies sich als schmachtender und jungheldischer Sonnyboy mit baritonalen Stimmaccessoires („Adeste Fideles“). Als fideler und hyperaktiver Dritter im Bunde entpuppte sich Gregor DuBuclet. Ein wenig verwegen (und natürlich nicht einlösbar) die Absicht der Vokalisten, jeder für sich oder gemeinsam an die stimmschmelzende Sängerlegende Bing Crosby erinnern zu wollen. Dass beim Vorhaben, Christmas wie in Hollywood feiern zu wollen, „Rudolph the Red-Nosed Reindeer“ nicht fehlen durfte, verstand sich von selbst. Von allen drei angestimmt, zog er beswingt im Big Bandsound vorüber. Ob als „Jingle Bell Rock“ oder als „Jingle Bells“: die Glocken wurden häufig und heftig geschwungen; sie erklangen sowohl im kühlen Norden als auch im rhythmusheißen Süden nahe der mexikanischen Grenze. Mit musikalischem Pferdegetrappel, Peitschenknall und Schellengeläut ging es durch imaginäre Schneelandschaften. Ob Flötensolo und sentimentaler Geigensound zur Unterstützung des soprangesungenen „I wonder as I Wonder“ oder vereint zur knackigen Big Band – stets waren die Musiker des Babelsberger Filmorchesters auf der Höhe ihrer diffizilen Aufgabe. Ihr Drive, klangliches Brillieren, Feeling und flexibles Reagieren auf Rhythmen und unterschiedlich dosierten Schmalzgehalt ließ die zwei Stunden wie im Fluge vergehen. Der Beifall zeigte sich von seiner stürmischen und anhaltenden Seite. Kaum dem Podium enteilt, setzte sich Scott Lawton im Foyer an den Flügel, um zusammen mit Christin Zacher (Gesang) in der „Weihnachtslounge“ dem bescherungsreichen Abend das Sahnehäubchen aufzusetzen. Peter Buske

Peter Buske

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