Kultur: Hemmungslose Hingabe an Vitalität
Rudolf Buchbinders Klavierzyklus an zwei Abenden im Nikolaisaal
Stand:
„Wie machen wir“s, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei? “ – „Nehmt alles nur zusammen“, sagt das Dichterwort weiter, „und jedermann erwartet sich ein Fest“. Wie im Nikolaisaal, als an zwei Tagen Ludwig van Beethovens fünf Klavierkonzerte im Komplettangebot erklangen. Für“s Frische und Bedeutungsgefällige stand der renommierte Beethovenspezialist Rudolf Buchbinder ein, der als Solist und Dirigent die Intentionen des Tonsetzers verkündete. Und zwar mit jener hinreißenden Natürlichkeit, der nichts Beiläufiges anhaftete. Als neugierig-engagierten Mitgestalter erwählte er sich das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt. Das Fest konnte beginnen.
In durchaus richtiger Chronologie begann der Marathon nicht mit dem ersten, dem C-Dur-Konzert, sondern mit dem zweiten, eine höhere Opuszahl tragenden B-Dur-Konzert, mit dem Beethoven anno 1795 in Wien zum ersten Mal öffentlich als Klaviervirtuose und Komponist in Erscheinung trat. Danach folgten am ersten Abend die Nummern III und IV, während tags darauf das Erste mit dem Fünften um die Gunst des begeisterten Publikums wetteiferte. Dennoch ließen sich durch Buchbinders enzyklopädische Intention die kompositorischen Entwicklungslinien Beethovens, die zunehmende sinfonische Verzahnung von Solo- und Orchesterpart, auf faszinierende Weise verfolgen. Auffallend weich und klanggeschmeidig ging das Staatsorchester an seine Arbeit, bei der es sich nicht nur als Begleiter, sondern aktiv mitgestaltender Partner des Maitre d“piano verstand und dessen kammermusikalischer Grundauffassung die entsprechende Facon lieferte.
Die dirigentischen Impulse erhielten die Musiker vom sitzenden, abwechselnd ihnen und seinem Instrument sich zuwendenden Pianisten Buchbinder, dem mitunter ein Kopfnicken oder eine kleine Geste genügte, um seine Absichten zu übermitteln, den Apparat präzise zusammenzuhalten und anzuspornen. Gemeinsam entfesselte man rhythmische Energien und kanalisierte sie so, dass jedem Konzert seine unverwechselbare Gestalt entstand. Tiefgründig, doch ohne Tüftelei (damit die Bedeutung auch gefällig sei!) erforschte man „des Pudels Kern“. Akkurat eilte Buchbinder flinkfingrig über die Tasten, ganz den Virtuosen hervorkehrend. Sein brillantes, immens lockeres und leichtes Spiel sprudelte in den schnellen Ecksätzen wie eine muntere Quelle, hielt im quirligen Wegesverlauf mitunter kurz inne, um in den langsamen Mittelsätzen (Adagio, Largo, Andante) mit innerer Versenkung, differenzierendem Anschlag und in großer Ruhe zu ariosen Gesängen anzuheben. Klanggewordene Poesie, atemberaubend und zu Herzen gehend. Dem geforderten „con brio“ der meisten einleitenden Allegrosätze huldigten, anders als Tage zuvor bei der „Generalprobe“ in Frankfurt, alle Beteiligten mit beeindruckender Hingabe. Will heißen: während man in der Oderstadt noch nach dem gemeinsamen größten Nenner suchte, hatte man ihn bei der glänzend absolvierten und enthusiastisch gefeierten Potsdam-„Premiere“ dann gefunden.
Durch das von Rubati und Sforzati nur so strotzende Musizieren entfachten sich lodernde Leidenschaften, brachen Energien gleich Lavaströmen hervor, verbanden sich himmlische Geschmeidigkeit mit höllischem Tastenfeuerwerk. In den Finali, allesamt rhythmisch beschwingte Rondos, tanzte man ausgelassen quasi den doppelten Buchbinder. Akzentuiert hervor gekitzelte Pointen lösten einander ab, setzen, in fünffacher Ausfertigung, den Konzerten ihre effektvolle Schlusspunkte. Nicht weniger packend, wie Rudolf Buchbinder in seiner Doppelfunktion die Übergänge von den langsamen Mittel- in die schnellen Ecksätze des 4. und des 5. Konzerts gestaltete.
Bei diesen analytischen, temperamentvollen und detailgenauen, dann wieder nachsinnenden, sich ums Erkennen von Zusammenhängen bemühenden und jeglicher romantischer Interpretationshaltung abholden Wiedergaben begeisterten die kalkulierten, ganz spontan wirkenden dynamischen Akzente genauso, wie die hemmungslose Hingabe an Vitalität und das Zurückziehen in eine sehnsuchtsvolle Empfindsamkeit.
Jeder einzelne Musiker hatte daran seinen Anteil. Es schien, als hätten sie sich an Buchbinders Beinarbeit ein Beispiel genommen, der das rechte Pedal sehr sparsam und überlegt nieder drückte, wodurch bestechend klare Klänge entstanden. So ließen sich Leidenschaft wie Lyrik, Erregung wie Ermattung, Furienbesänftigung wie Pathos gleichermaßen überzeugend gestalten. Die sämtlich von Beethoven stammenden Kadenzen spielte er mit Inspiration und Fantasie – wie aus dem Augenblick heraus geboren. Ein Erlebnis!
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