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Kultur: Hemmungslose Spielfreude

Viktoria Mullova und Il Giardino Armonico im Nikolaisaal

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Viktoria Mullova und Il Giardino Armonico im Nikolaisaal Von Peter Buske Den Musikern eilt der Ruf voraus, Sprinter unter den Ensembles zu sein, die sich mit (Darmsaiten-)Haut und (Pferde-)Haaren der Alten Musik und ihrer historisierenden Aufführungspraxis verschrieben haben. Doch was ist daran Dichtung, was Wahrheit? Beim Auftritt des Mailänder Kammerorchesters „Il Giardino Armonico“ (Der Harmoniegarten) lässt es sich innerhalb der Reihe „Stars international“ am Freitag im Nikolaisaal erfolgreich erforschen. Durchweg Barockmusik ist angesagt, beginnend und endend mit Vivaldi. Darin eingeschlossen die italienischen Zeitgenossen Sammartini und Locatelli, gekrönt von den Heroen Bach und Händel. Wie würden sie sich, als gehegte und gepflegte „Stauden“, im Harmoniegarten präsentieren? Ob als Edelrose, Madonnenlilie, Clematis, Hortensie oder Kaiserkrone – unter den flinken, sicheren und stilkundigen Händen erfahrener (Noten-)Gärtner entfalten sich die Blüten zu berauschender Pracht. Weithin leuchten sie durch ihre klaren und strahlenden (Klang-)Farben, verströmen betörende Düfte. In diesem prächtigen giardino armonico lässt sich unter Anleitung von Giovanni Antonini erwartungsfroh von einem Rondell zum nächsten lustwandeln. Auf immer neuen Wegen macht er auf ungewöhnliche dynamische Konstellationen, Tempoverschiebungen und Rhythmusmetamorphosen aufmerksam, die er außerordentlich gestenreich und plastisch erläutert. Mitunter scheint es sogar, als tanzten seine Hände Ballett. Kurz und bündig wird die Sinfonia zur Serenata „La Sena festeggiante“ (Die feiernde Seine) von Antonio Vivaldi phrasiert. Was sich solcherart federnd und akzentscharf ausbreitet, zwingt zum genauen Hinhören. Es fällt umso leichter, da das perfekt intonierende und zusammenspielende Streicherensemble, unterstützt von Fagott (Alberto Guerra) und Cembalo (Riccardo Doni) als Continuo-Gruppe, sich einer extremen Deutlichkeit und Durchsichtigkeit befleißigt. Das lässt an glasklares Quellwasser denken. Zum Allegro-Schluss sprudelt es, wie nicht anders erwartet, sehr munter dahin. Kaum weniger spritzig zeigt sich Georg Friedrich Händels Concerto grosso B-Dur op. 6 Nr. 7, das durch die hemmungslose Spielfreude der Musiker eine schier atemberaubende Spannung trotz durchaus moderater Tempi erhält. Schnelligkeit allein macht es nicht, damit Musik wirken kann. In diesem Garten, wo mit speziellen Düngern nicht gespart wird, kann sie frei atmen, sich sogar barocksinnliche Körperlichkeit gewinnen. Dass das Musizieren den Instrumentalisten unbändigen Spaß bereitet, bei dem einer Geigerin auch mal der Bogen zur Erde fliegen kann, hört und sieht man allenthalben. Wie bei der Introduttione teatrale Nr. 5 in D-Dur von Pietro Locatelli, die temperamentgeladen und dynamisch extrem differenziert daherkommt. Auch hier ist das musikflorale Anwesen von frischen Winden durchweht. Vogeltirilieren und Nachahmungen menschlicher Stimmen zeichnet das Flötenkonzert F-Dur von Giuseppe Sammartini aus, dessen Solopart vom Ensembleleiter Giovanni Antonini mit allen virtuosen Finessen auf der Blockflöte überaus bravourös gespielt wird. Der Beifall für diese Leistung ist enorm. Er nimmt enthusiastische Dimensionen an, als es gilt, die Saitenartistik der Stargeigerin Viktoria Mullova zu feiern. Sie liegt mit den Teufelskerlen und Darmsaitenakrobaten von Il Giardino Armonico auf gleicher Wellenlänge. Wie ihnen, so ist auch ihr die gestalterische Lebendigkeit eine jener Trumpfkarten, mit denen sie in Johann Sebastian Bachs a-moll-Violinkonzert BWV 1041 einen Stich nach dem anderen macht. Sie spielt zu Anfang des Kopfsatzes das Tutti mit, lässt den Solo-Einsatz organisch aus dem Ganzen entstehen. Dennoch bleibt sie mit ihrem eleganten, ganz schlank gehaltenen Ton als prima inter pares in den Orchesterklang eingebettet. Sich darin hörbar wohl fühlend, lässt sich Viktoria Mullova zu einem spannenden Wetteifern bei der Verwandlung der Themen verführen. Analytisch durchleuchtet sie die Partitur bis in die klitzekleinsten Querverbindungen, gewinnt sich neue Einsichten und Erkenntnisse von Bachs Bauplan, gräbt gleichsam die Scholle spatentief um. Im Andante gestattet sie sich gleich den Musikern ein minimales Vibrato, was dem musikalischen Geschehen viel innere Wärme verleiht. Virtuos und herrlich gelöst jagt der Schlusssatz vorüber. Dass sich auch mit moderner Bogenhaltung und -führung in die Geheimnisse der Barockmusik eindringen lässt, beweist die Mullova im D-Dur-Violinkonzert RV 208 „Der Großmogul“ von Antonio Vivaldi. Sie tanzt Spitze auf den Saiten, vollführt in schier atemberaubendem Tempi die fingerbrecherischsten Kadenzen, verschlingt makellose Töne zu imposanten Klanggirladen an Pergolen, die dem Harmoniegarten zusätzliche Reize verleihen. Über seine Klangwege wird weit weniger gesprintet als erwartet, stattdessen einem intervallreichen Mittelstreckenlauf der Vorzug gegeben. Für innehaltende Betrachtungen bleibt gleichfalls genügend Zeit. Die Künstler werden mit Bravostürmen gefeiert, danken mit einer Zugabe.

Peter Buske

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