Kultur: Herausragend
Neuer Kammerchor: Vergessene jüdische Gesänge
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Neuer Kammerchor: Vergessene jüdische Gesänge Sicher das ungewöhnlichste Konzert der diesjährigen Vocalise. Der Neue Kammerchor Potsdam führte unter Leitung von Ud Joffe am Sonnabend in der Erlöserkirche in weit entfernte musikalische Regionen und Epochen. Texte und Melodien der mittelalterlichen spanischen Juden, Lieder von persischen, nordafrikanischen und kaukasischen Juden verschiedener Epochen in modernen Chorarrangements erlebten eine anspruchsvolle Aufführung. Die selten zu hörenden Instrumente Tar und Kamancha und Sänger Nissim Lugassi rundeten das Konzert ab. Als sei es das Selbstverständlichste von der Welt sang der Neue Kammerchor auf Hebräisch, Ladino und Djuhuri-Tätisch. Drei Elemente bestimmten das Konzert: traditionelle, teilweise uralte Gesänge und Melodien sefardischer und kaukasischer Juden, deren polyphonische Bearbeitungen für a-capella-Chor sowie die Wiedergabe durch die mitteleuropäischen, konkret, Potsdamer Stimmen des Neuen Kammerchors. Die außerordentliche, Zeit- und Raum-Grenzen sprengende „multikulturelle“ Mischung des Konzerts forderte und erhielt von den Zuhörern viel Aufmerksamkeit und herzlichen Beifall. Nach der Vertreibung durch die „Katholischen Könige“ behielten die sefardischen Juden ihre Sprache, das Ladino, bei und gebrauchen es teilweise bis heute. Die Verwendung dieses kastilisch-romanischen Dialekts beförderte den Austausch zwischen christlicher und jüdischer Kultur im spanischen Mittelalter. In der modernen Vertonung durch Paul Ben-Haim erfuhren die archaischen spanisch-jüdischen Romanzen eine kunstreiche, polyphonische Verwandlung, dramatisch betont und wenig schlicht. Passender entfalteten sich orientalische Vokalemphase und mehrstimmige Harmonien in den geistlichen Gesängen auf hebräisch, von denen „Yefe Nof“ mit besonderer Inbrunst erklingt. Sicher nicht alle Tage hört man den 121. Psalm „Ich hebe meine Augen auf“ in hebräischer Sprache, jüdisch-persischer Melodie und europäisch-polyphonischem Chorsatz, ergänzt von Nissim Lugassis inbrünstigem Gebetsgesang. Die Verschmelzung der Stile und Traditionen erreicht hier einen Höhepunkt. Eine letzte Hochleistung vollbringen die Damen des Chors bei den „Fünf Hochzeitsliedern“ von Piris Eliyahu, die auf Djuhuri-Tätisch, der Sprache kaukasischer Berg-Juden, gesungen werden. Ihre europäisch-weichere Intonation mildert scharfe Kanten und eher schroffe Klänge der Lieder ab: eine klanglich außergewöhnliche Synthese aus Orient und Okzident. Wie eng die musikalischen Traditionen in der „Alten Welt“ miteinander verwandt sind, zeigt sich beim Spiel von Tar und Kamancha. Dass die Kamancha ein veritabler Großvater der Geige ist, verdeutlicht das virtuose Spiel von Mark Eliyahu sowohl klanglich als auch technisch. Sein Vater Piris Eliyahu erweist sich als außerordentlicher Spieler der Tar, ein archaischer Vorläufer von Laute und Gitarre. Beide spielen hochinspiriert zusammen. Großes Lob für alle Mitwirkenden und besonders für Ud Joffe, den einfallsreichen spiritus rector dieses herausragenden Konzerts. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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