Kultur: Hermlin bot Swingtime mit Gel-Alarm
Der Bandleader Andrej Hermlin ist ein sichtbar glücklicher Mann. Denn sein Traum wird jedes Mal wieder wahr, wenn er mit seinem Swing Dance Orchestra auf der Bühne steht.
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Der Bandleader Andrej Hermlin ist ein sichtbar glücklicher Mann. Denn sein Traum wird jedes Mal wieder wahr, wenn er mit seinem Swing Dance Orchestra auf der Bühne steht. Auch im Nikolaisaal strahlt er pausbäckig, wie er vom Klavier eher lässig seine Musiker beim Swingen anleitet.
Hermlin war zehn Jahre alt, als er zum ersten Mal eine Platte des amerikanischen Posaunisten und Bandleaders Tommy Dorsey hörte und sich positiv infizierte. Diese Swing Night war nun ganz dem „Sentimental Gentleman of Swing“ gewidmet. Hermlins Freunde hätten damals AC/DC gehört und deshalb wenig Verständnis für seinen Traum aufgebracht, es seinem Idol Dorsey gleich zu tun. Nun leitet Hermlin Abend für Abend die beste Bigbandformation weit und breit. Unverstärkt und authentisch will man sein. Gediegener Smoking mit Haifischrevers, dazu Ballonhosen mit Bügelfalte. Auf der Bühne herrscht „Gel-Alarm“ für die Frisuren der 30er und 40er Jahre.
Die Glücklichkeit des Leiters hat sich sichtbar auf die 13 Musiker übertragen. Sie albern herum, kommentieren pantomimisch die Sololeistung des Kollegen und sind locker. Und locker und entspannt muss es zugehen, will man das Gefühl für Swing weitergeben. Der Saal in der Wilhelm-Staabstraße ist voller wohlgelaunter Swingfreunde, die auch Hermlins Enthusiasmus für Bigbandsound teilen. Sie lächeln zustimmend, als Hermlin in seiner unterhaltsamen Zwischenmoderationen von den Diskussionen mit seiner Mutter erzählt, als er in Dresden seine erste eigene Platte von Dorsey erspähte. „Mit dem orangenen „J“ vorne darauf, für 16,10 Mark EVP.“
Ein tragischer Trauerfall in der Familie hatte jedoch den Auftritt des auf Swing spezialisierten Sängers David Rose im Nikolaisaal verhindert. Innerhalb einer Stunde jedoch änderte die Band ihr Programm. Sänger der vier „Skylarks“, der Gesangsformation, der Saxophonist Finn Wiesner und sogar der Baritonsaxphonist Raimund Merkel traten ans Mikrophon, wo sie sich mit der Solosängerin Bettina Hermlin abwechselten. „Hut ab vor dieser Leistung“, lobte Hermlin zu Recht das Improvisationstalent seiner Musiker. Die Interpreten waren durchweg dem gesanglich anspruchsvollen Material gewachsen.
Immer im Mittelpunkt der Bühne steht der noch junge Posaunist Simon Harrer. Ihm gebührte die schwierige Aufgabe, jene „singende“ melodiöse Posaune zu spielen, für die Tommy Dorsey bekannt wurde. Ein weiteres Markenzeichen in Dorseys Arrangements ist, den Sologesang gegen den des gesamten Orchesters zu setzen. Bei „Blue Moon“ steht dann plötzlich der Klangkörper auf und kommentiert als singender Herrenchor ironisch den an sich vor Liebe schmachtenden Text. „Benny Goodman war bekannt für den treibenden Swing, Glenn Miller für den „sweet“ Swing, den lyrisch-romantischen – doch Tommy Dorsey konnte beides“, sagt Hermlin. So wechselt das Swing Dance Orchestra souverän die Register zwischen sentimental und euphorisch. Immer, wenn Bettina Hermlin ans Mikro tritt, wird aus „süß“ durch ihre ins Verruchte reichende, fast „schwarz“ klingende kräftige Stimme „sexy“. „Es steht einhundert zu eins, dass ich verliebt bin“, singt sie und bringt dem Swing Pepp bei. Eine wunderbare Nuance des Abends. Genau wie sein Vorbild legt Hermlin großen Wert auf exzellente Instrumentalisten. Nahezu jeder in der Band bekommt ein Solo. Dass der Swing die Popmusik der Zeit war, bewies obendrein das Tanzpaar Ballroom Hoppers, das zu einem Stück über die Bühne wirbelte. Mit Blick auf das ihm und dem Swing ergebenen Publikum kann Hermlin sagen: „Der Swing ist sehr, sehr lebendig.“ Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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