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Kultur: „Herr Brahms aus Böhmen“

Die Brandenburger Symphoniker musizierten in der Reihe „Klassik am Sonntag“ im Nikolaisaal

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Die Brandenburger Symphoniker musizierten in der Reihe „Klassik am Sonntag“ im Nikolaisaal Von Sonja Lenz Was hat es auf sich mit dem rätselhaften Adagio? Ist es eher eine Liebeserklärung oder ein Requiem? Johannes Brahms hat das Herzstück seiner Serenade op.16 seiner Freundin Clara Schumann gewidmet. Es ist ein inniges, warmes Stück Musik in gedeckten Farben. Vielleicht spiegelt sich in dem Adagio seine Beziehung zu der großen Künstlerin und Komponistenwitwe. Mag sein, dass auch Robert Schumanns tragisches Ende darin nachschwingt. Der Komponist war 1859, als Brahms die Serenade schrieb, allerdings schon seit drei Jahren tot. Zum Totensonntag plädierten die Brandenburger Symphoniker eindringlich für die Schumann-Gedächtnis-Variante. Im Nikolaisaal gestalteten sie eine schmerzliche Elegie. Fast wie einen Trauermarsch ließen sie den Anfang des Adagios klingen. Entschlossen betonten sie die aufgewühlten Passagen und dramatischen Akzente. Serenade – mit dem Begriff verbindet man ein Ständchen, eine Abendmusik, ein gepflegtes Gebinde von heiter unterhaltenden Sätzen. Die zweite Serenade von Johannes Brahms ist anders. Sie gibt sich schwerblütig und gleichzeitig experimentierlustig. Keine einzige Geige sieht die Besetzungsliste vor. Schon das ist ungewöhnlich. Den Holzbläsern der Brandenburger Symphoniker gibt Brahms die Gelegenheit, sich mit Ensemblegeist zu profilieren. Sie bestehen die Homogenitäts-Probe glänzend, spielen einander kurze Abschnitte der weiten Melodiebögen sanft und aufmerksam zu. Ständig wechselt Brahms die Klangfarben, setzt Klarinetten, Flöten, Oboen und Bratschen wie Staffelläufer ein. Doch man hört keine Bruchstellen im schillernden, weichgezeichneten Melodienfluss. Erstaunliche Vexierspiele treibt der Komponist im Scherzo und im Menuett. Da gibt es gewitzte Taktverschleierungen, irrlichternde Akzente und vertrackte Rhythmen, die jeden Tänzer aus dem Gleichgewicht werfen würden. Ein bisschen pointierter hätte das Ganze ruhig klingen dürfen, aber dem Generalmusikdirektor Michael Helmrath war es offenbar wichtiger, den warmen, verbindlichen Ton beizubehalten, den Schleier der Melancholie einheitlich über das gesamte Werk auszubreiten. Er ließ sein Orchester einen großen, instrumentalen Klagegesang anstimmen. Nur im abschließenden Rondo durfte es ein klein wenig heiterer zugehen. „Ein ideales Stück zum Totensonntag“, fand der Musikwissenschaftler Clemens Goldberg, der in gewohnter Weise lebendig und kenntnisreich durch die „Klassik am Sonntag“ führte. „Herr Brahms aus Böhmen“ lautete das Motto des Konzertnachmittags. Der „böhmische Brahms“, das ist natürlich Antonín Dvorák. Die nicht eben üppige Celloliteratur hat er um ein romantisches Meisterwerk bereichert: das berühmte h-Moll-Konzert. Das Stück ist ein Solitär, beliebt beim Publikum wegen seiner Funken sprühenden, herben Sinnlichkeit und gefürchtet von Cellisten wegen der immensen technischen Hürden. Clemens Goldberg, der selbst Cello studiert hat, weiß es genau: „Das Stück wird immer verlangt, wenn man für Solistenpositionen vorspielt, nicht wahr?“ Die Cellisten im Orchester nicken. Eine halbe Stunde später haben sie allen Grund, besonders begeistert zu applaudieren. Mit seinem impulsiven, temperamentvollen und traumhaft sicheren Spiel verdiente sich Peter Bruns die Anerkennung seiner Kollegen und des ganzen Saals. Kontrastreich stellte er unwirsche und versonnene Passagen gegeneinander. Großartig gelang der tragische Einbruch im Adagio, den Dvorák komponierte, nachdem er vom Tod seiner Jugendfreundin erfahren hatte. Bei aller Kraft und Leidenschaft geriet das virtuose Spiel des Solisten niemals außer Kontrolle. Als musikalische Gesprächspartner hatten es die Holzbläser des Orchesters nicht leicht. Die gleiche intensive Überzeugungskraft wie der Cellist konnten sie nicht aufbieten. Noch vor fünf Jahren hat Peter Bruns selbst im Orchester gespielt, als Erster Konzertmeister Violoncello der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Den Sprung in die solistische Selbstständigkeit hat er sicher nicht bereut. Inzwischen sammelt er internationale Konzerterfolge. Auch im Nikolaisaal bewies er sein Ausnahmetalent. Ohne Zugabe ließ ihn das Publikum nicht ziehen.

Sonja Lenz

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