Kultur: Herrlich verspielt

Zwei gleichermaßen verrückte beziehungsweise entrückte, dabei sehr unterschiedliche Traumwelten präsentierte Unidram am Freitagabend. Zunächst setzte das tschechische Theater Krepsko im halbdunklen, ausverkauften Saal der „fabrik“ Zeit, Raum und Schwerkraft scheinbar außer Gefecht. Von der Decke hängt ein Fahrrad, auf dem eine Frau sitzt und kräftig in die Pedale tritt. Voran kommt sie nicht, vielmehr schwingt das Fahrrad wie eine Schaukel hin und her. Dazu spielen drei Musiker mit Violine, Akkordeon und Bass ganz leise sehr melancholische finnische Tango-Musik. Mit ihrem Stück „Mad Cup of Tea“ kreiert das Ensemble um die finnische Künstlerin Linnea Happonen eine eigene poetische Welt. Da gleiten Teetassen wie von Geisterhand gezogen über den Fußboden, andere schwingen hängend im Rhythmus der Musik, mal verwandeln sie den flachen Boden in eine seltsam hügelige Wiese, mal dienen Teetassen zum Tanzen und Jonglieren. Linnea Happonen, die mädchenhafte Radlerin in Kleidchen, Gummistiefeln und Mützchen und ihr Gegenpart, der dunkle, bärtige, gewandte Teemann (Pau Zabaleta i Llauger) aus dem seltsamen Kiosk führen ein Tänzchen auf, spielen Teezeremonie, geben sich ungelenk und sind doch überaus gelenkig.

Sogar akrobatisch am Trapez zeigt sich die Finnin Linnea Happonen, die das Ensemble vor neun Jahren in Prag gegründet hat. Eine bloße Beschreibung gibt das traumhafte Ambiente des einstündigen Stücks nur unzulänglich wieder. Dann machen alle mal eine Teepause, Zuckerwürfel fliegen hin und her, einer angelt, keine Fische, sondern, wie könnte es anders sein, Teetassen natürlich. Zirkus, Zauberei, Akrobatik, Tanz und Musik – vieles kommt hier zusammen, doch ganz ohne Vorzeigeeffekte. Vielmehr wirkt alles ganz leicht, beiläufig, wie flüchtige Traumbilder. Auf Sprache wird verzichtet, dafür bestimmen die leicht schwermütigen Klänge von Tango und Blues, auch mal mit rauen, verhangenen Stimmen gesungen, die Szenerie. Mit dem Stück Mad Cup of Tea ist dem Ensemble Krepsko, das bereits zum dritten Mal bei Unidram zu Gast ist, herrlich verspieltes, poetisches, surreales Traumtheater gelungen. Berührend und wunderbar altmodisch, ganz ohne elektronische Mittel. Zum Abschluss wird heißer Tee an die Zuschauer ausgeschenkt.

Szenenwechsel. Starker Kontrast beim multimedialen Tanztheater DreaMe von Henrik Kaalund (Choreographie) und Sylvania Pen (Solistin). Auf der Bühne im ausverkauften Saal vom T-Werk steht vorne rechts ein Mikrofon, hinten links eine Leinwand. Dazwischen geht, dreht, rennt und springt die zarte, aparte Tänzerin Sylvania Pen bis an ihre Grenzen. Das Ein-Personenstück zeigt Konfrontation und Verfolgung einer Person durch ihr Double, das zwei- oder mehrfach auf die Leinwand projiziert wird. Trickreich und effektvoll wirkt das Spiel mit der Technik des Verschwindens und Erscheinens, stets in punktgenauer Übereinstimmung mit dem elektronischen Klangteppich (Michael Haves).

Auch hier findet ein künstlerisches Cross-Over statt, doch in einer ganz anderen Sprache. Neben Tanz, Video und Geräuschen wird auch gesprochen. Mit langen Monologen in englischer Sprache offenbart die Darstellerin dem Publikum ihre problematische psychologische Situation, wobei Worthülsen des Entertainment überwiegen, wie „It’s great to be here.“ Zitat oder Ironie, die Deutung bleibt jedem in postmoderner Beliebigkeit selbst überlassen. Schließlich löst sich der energetische Wirbelsturm in esoterischem Wohlgefallen auf. Wie bei einer gruppendynamischen Sitzung feiert die Tänzerin das entspannte Dasein im „Here and now“. Statt auf illusionistische Zauberei wie das Theater Krepsko setzt DreaMe eher auf Umarmung des Publikums. Erst recht zum Finale, wenn die hervorragende Tänzerin/Schauspielerin Sylvania Pen plötzlich doch noch ein niedliches Liedchen singt und so ins Hier und Jetzt der bodenlosen Realität überleitet.Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern