Kultur: Herz geweckt Lesung der Jean-Paul- Edition im Schlosstheater
Wo Originale sind, da sammeln sich bald auch Kopisten. Jean Paul, ein Meister der großen Form, der feinsten Satire, des Scherzes und der gehobenen Empfindsamkeit, war als meistgelesener Autor seiner Zeit mit dem emphatischen Stil, mit Metaphern und periodenbildenden Sätzen bestens vertraut.
Stand:
Wo Originale sind, da sammeln sich bald auch Kopisten. Jean Paul, ein Meister der großen Form, der feinsten Satire, des Scherzes und der gehobenen Empfindsamkeit, war als meistgelesener Autor seiner Zeit mit dem emphatischen Stil, mit Metaphern und periodenbildenden Sätzen bestens vertraut. Doch wo sein Genie drei Metaphern spielend in einer Periode unterbrachte, da nahmen seine Adlaten zwölf, und schachtelten Wortungeheuer, welche kein Mensch mehr zu lesen und zu verstehen weiß.
Die bekannte Autorin Katja-Lange Müller konnte am Donnerstag ein Lied davon singen, als sie, zusammen mit dem berühmten Germanisten Prof. Norbert Miller, auf der Bühne des Schlosstheaters Briefe von und an den Autoren-Titan Johann Paul Friedrich Richter (1763-1825) einem sehr zahlreich erschienenen Publikum las. Eingeladen hatten die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die in Potsdam ansässige Jean-Paul-Edition, um die erfolgreiche Herausgabe des dritten Bandes von Briefen zu würdigen.
Ernst Osterkamp führte mit einer klugen Rede in dieses „nie ungefährdet gebliebene Großunternehmen“ ein, indem er die Kultur des Briefeschreibens als solches lobte, die kulturgeschichtliche Dimensionen solcher Korrespondenz trotz eines Jahrhunderts an Forschung als weitgehend unentdeckt schilderte und endlich begründete, warum wenigstens die Jean-Paul-Forschung diesen Band, der von 1798 bis 1800 reicht, so „dringend“ brauche – bis 2003, sei ja erst ein Drittel dieser etwas umständlichen Materie bekannt oder gesichtet worden. Das „ensemble1800berlin“ (Andrea Klitzing, Flöte, Thomas Kretschmer, Violine, Patrick Sepec, Violoncello) spielte zwischen den Lesungen zeitgenössische Triobearbeitungen aus Mozart-Opern, meist von N. Simrock 1795 geschaffen, die man in erweiterter Form gern auch einmal in Potsdam hören möchte.
Die Lesungen selbst gaben, soweit es möglich war, einen Eindruck von der allgemeinen Wertschätzung, welche Jean Paul, mit Ausnahme von Schiller und Schlegel, beinahe jedermann damals entgegenbrachte. In der Korrespondenz mit Paul Emile Thieriot, seinem späteren Ziehsohn, hält einen eine merkwürdige Männerliebe in Bann, er war es auch, der seinen Stil bis zur Unkenntlichkeit „erweiterte“, was Katja Lange-Müller beim Lesen in einige Schwierigkeit brachte.
Mit seinem Jugendfreund Christian Otto tauschte er zwar auch Persönliches sowie Mitteilungen über den vermeintlich kühlen Goethe aus, vor allem aber fuhren verheiratete Damen wie die Leipziger Kaufmannsfrau Elisabeth Hänel oder die pommersche Landadlige Josephine von Sydow gleich reihenweise auf seinen unvergleichlich empfindsamen Charme und Stylus ab: Erstere schrieb ihm, sie hätte ihre Kinder fortgeschickt, als sich ihr „geliebtester Freund“ anmeldete, die zweite, dies „Herz, durchdrungen von Tugend“ habe in ihr „den Menschen geweckt“, wer weiß, was sie meinte. Sogar Königin Luise lud ihn einst ganz fasziniert ins Neue Palais, dem Ort dieser Lesung, um ihm silbernes Geschirr zu schenken.
Ein Filou und Tugendmann? Er hatte ja mehrmals Probleme bei virtuellen Verlobungen. Jedenfalls einer, der auf dem Papier wie im Leben mit Worten zu handeln wusste. Dies war Norbert Miller wohl bekannt, seine gelesenen und gesprochenen Beiträge glänzten in bestmodulierter Rhetorik. Anschließend gab es dann im Parterre noch einen Empfang, gestiftet von der Akademie und frei wie die Veranstaltung selbst. Gerold Paul
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: