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Kultur: Herzenswärme und Temperament

Gelungener Saisonstart mit „Paulas Paul“ im Kinder- und Jugendtheater des HOT

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Gelungener Saisonstart mit „Paulas Paul“ im Kinder- und Jugendtheater des HOT Endlich hat man sich der Starrheit einer ungetümen Bühne in der Reithalle A zu entledigen verstanden. Zur gestrigen Eröffnung der neuen Spielzeit war die altgewohnte Ordnung weg, dafür zwei (ausgefüllte) Zuschauerreihen zu je vier Treppen im Gegenüber, zwischen ihnen auf ebener Erde eine hervorragend gebaute Bühne für die Premiere des genauso prachtvollen Stücks „Paulas Paul“, mit Herzenswärme, Augenmaß und Temperament von dem türkischen Regisseur Yüksel Yolcu inszeniert. Gedacht für Kinder um neun Jahre, sollten sich auch „Ältere“ diese sehenswerte Produktion nicht entgehen lassen, denn die beinahe zu schöne Geschichte zwischen der 12-Jährigen Paula, welche man irrtümlich für einen Jungen hält, und ihrem Mitschüler Isak hat hier noch mit richtiger Liebe zu tun, mit Blicken und flüchtigen Küssen, sie braucht das Begehren der Körper nicht, das macht ihren Charme zuallererst aus. Melanie Peter hat dieses Stück nach einem Roman des Schweden Ulf Stark aufgeschrieben. Alles beginnt mit dem Umzug der Kroll“schen Patchwork-Familie, die immer entweder verrückt oder langweilig war, jedenfalls niemals normal, zu Gunnar (Andreas Erfurth im Holzfäller-Hemd), dem neuen Freund von Paulas Mutter Olga (Katharina Voß). Die Protagonistin selbst führt sich zickig ein, aber nicht unsympathisch, sie will nicht mit, und wünscht sich sowieso eine bessere Mutter als jene, die nie Zeit für sie hat und selbst ihren Geburtstag vergisst. An der Schule dann verwechselt Paulas Lehrerin (Sabine Scholze wieder mit trockenem Humor) die Namen, aus Paula wird Paul, die es akzeptiert. Doch alles geht schief, der neugebackene Junge kann sich gegen die Konkurrenz des stärkeren Klassenkameraden Isak (Nils Heuser, etwas dürftig im Spiel) nicht durchsetzen, außerdem verliebt sich auch noch Katti (Nina El Karsheh) unglücklich in ihn/sie, indes Paula heimlich nach Isak schielt. Heitere, köstliche Szenen hier, überhaupt versteht es Yolcu ganz trefflich, in den Dreien eine echte Lausejungen-Klasse zu spiegeln. Dann wird es beim Gerangel um die so erfrischend-kindliche Katti ernst: Nach einem Wettschwimmen im kalten Wasser rettet Paula ihren Isak, dann erklärt sie sich ihm in einer poetischen Szene. Wie die ganze Inszenierung von schnellen Gefühlswechseln auf einer sehr praktikablen Bühne (Ulv Jakobsen) lebt, umgeben von vier Projektionswänden für die Großstadt-Vedute, Mond und Sternhimmel, so lassen sich beide hier Zeit. Was macht Isak? Er untersucht zuerst die Haare des Mädchens! Dann gibt es diese flüchtigen, ersten Küsse, einen noch hinterher, sicher ist sicher. Solche Beobachtungen haben wirklich Format. Liebe und Tod: Wie Marie-Luise Lukas Paula und Paul glaubhaft-sympathisch von innen zu spielen und als Erzählerin weiterzutragen versteht, so hat sie in ihrem Opa (Horst Westphal a.G.) eine Art schrulligen (und etwas konflikt-scheuen) Philosophen vor sich, der sich ausgerechnet dann zum Sterben anschickt, als sie so glücklich gelöst ist. Hier ist noch Luft, die entsprechenden Szenen glaubhafter zu machen. Man hatte ja manchmal den Eindruck, als sei diese heitere Inszenierung, von Anthony Thet a. G. mit rockigen Akkorden auf der Gitarre begleitet, etwas rasch gearbeitet worden. Bei Katharina Voß zum Beispiel, die stets nur einen Vorgang gibt, fahrig, unruhig, fast ohne Kontakt zu der Tochter. Einmal streicheln, das wäre doch was. Auch über die finale Szene, kindliches Spiel der beiden unter Wasser von oben, darf man unterschiedliche Auffassungen haben. Die Haupthandlung jedenfalls hatte Stimmung, Glanz, Schönheit und eine geradezu wohltuende Heiterkeit, was könnte einer Uraufführung wohl Besseres geschehen. Gut, dass sie einer gemacht hat, der den Wert der Familie kennt. Gerold Paul

Gerold Paul

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