Kultur: Herzhaft, würzig und süß
Konzert und Buch zum 65. von Collegium musicum
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„Kochen Sie sich durch die Geschmacksnoten der Holzbläser, stellen Sie ein Streicher-Blechbläser-Menü zusammen“, heißt es im Vorwort des Buchs „Geschmacksnoten“. Schnell ist das Geheimnis bei der Feier in der Neuendorfer Kirche in Potsdam-Babelsberg gelüftet. Zu seinem 65. Jubiläum hat das Potsdamer Sinfonieorchester Collegium musicum ein Kochbuch herausgebracht. Die über 50 darin enthaltenen Rezepte sind nicht nur nach Herzhaftem und Süßem orientiert, sondern auch nach den Stimmgruppen des Orchesters. Jedes der namentlich gekennzeichneten Rezepte stammt von einem der Laienmusiker des Orchesters, das sich rühmen darf, das am längsten bestehende Ensemble von Potsdam zu sein.
Beim Lesen ergeben sich so manche Offenbarungen und Überraschungen. Dass der seit 1998 amtierende Orchesterleiter Knut Andreas das Buch mit „Muttis Pizza für ein Blech“ eröffnet, war nicht vorhersehbar. Und was die Violinen und die Violas offerieren, erstaunt dann doch. Da gibt es kaum Süßes, Schmelzendes oder gar Schmalziges, sondern viel deftige Hausmannskost – vom Thüringer Serviettenkloß über Sauerbraten bis zu Schottischem Kasslertopf. Erst bei den Celli und Kontrabässen geht es leichter zu – in Kontrast zu ihren Klangbildern – mit Vorspeisen, Suppen und Salaten. Wenn jedoch der Kontrabass einen „Dicken Käsekuchen“ offeriert, passt das wunderbar zu Bild und Klang des Instruments. Für hungrige Hornisten wird ein herzhafter „Herrenkuchen“ angeboten, dessen Rezept „gerade ausreichend für ein Hornquartett ist“. In der süßen Abteilung verlockt eine Mascarpone-Crème mit Himbeeren, die, wie sollte es anders sein, von einer Violinistin stammt. Doch speziell die Blechbläser scheinen hohen Bedarf nach Zucker und Kohlehydraten zu haben, wie Nusstorte, American Brownies und die Tubisten-Torte zeigen – „weil dicke Instrumente dicke Musiker brauchen“, wie es dazu scherzhaft heißt.
Es ist ein sehr persönliches, vielseitiges Kochbuch mit regionalen und internationalen Rezepten geworden, ein bunter Spiegel des Collegium musicum mit seinen inzwischen über sechzig Musikern und konstant abwechslungsreichen Konzerten. Zum Jubiläumskonzert am morgigen Sonnabend in der Friedrichskirche bringt das Orchester die „Festliche Musik“ von Hans Chemin-Petit zu Gehör. Der gebürtige Potsdamer gründete 1945 das Collegium musicum, leitete es aber nur ein knappes Jahr. Ferner erklingt die symphonische Dichtung „Aus dem Reiche des Pan“ von Paul Graener. Die Wiederentdeckung dieses weitgehend vergessenen Komponisten, der modernistische Tendenzen aus Überzeugung abwehrte, ist dem Orchesterleiter Knut Andreas ein besonderes Anliegen. Er verfasste sogar eine Doktorarbeit über den Berliner Komponisten, der im „Dritten Reich“ Karriere machte. Umstritten ist auch der dritte Komponist des Abends, Ottorino Respighi, ein Anhänger des italienischen Duce. Die „Pini di Roma“ sind der letzte Teil seiner Römischen Trilogie. Sie endet mit einem gewaltigen Triumphmarsch entlang der Pinienallee Via Appia, der, wie es heißt, den „Marsch auf Rom“ glorifiziert haben soll. Ein spannungsreiches Werk, das bis heute im Konzertsaal zu hören ist. Hier zeigt sich wieder einmal, dass Geschmacksfragen nicht nur beim Essen, sondern auch bei der Musik eine Rolle spielen. Babette Kaiserkern
Babette Kaiserkern
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