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Kultur: Herzlich und ungeschönt
Moritz von Uslar las in der Villa Quandt
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Da hat einer voll ins Schwarze getroffen. Als Moritz von Uslar am Freitagabend in der gut besuchten Villa Quandt aus seinem aktuellen Buch „Deutschboden“ vorliest und dabei ein paar Bewohner einer brandenburgischen Kleinstadt porträtiert und reden lässt, gelingt ihm dies bravourös, mit wenigen präzisen Strichen und ohne viel imitiertes Lokalkolorit. Recht tief und kräftig ist seine Stimme ja; das oftmals derb Ruppige steht ihr gut, auch ohne Slang. Denn damit werde man leicht zur Karikatur, sagt Moritz von Uslar.
Als eine lächerliche Figur will er dann schon eher seinen Reporter verstanden wissen, wenn er ihn mit Strohhut und Diktiergerät auf Streifzüge durch ein ostbackenes Städtchen schickt, vorbei an beigegrauen Kratzputzfassaden, Pappschildreklamen und etlichen Nagelstudios, hinein in Schröders Kneipe, um den kuriosen Gesprächen der Nachmittagstrinker zu lauschen oder selbst zu plaudern, mit Heiko dem Wirt etwa. All diese Dialoge seien natürlich keine Poesie, sondern authentisch, merkt von Uslar zwischendrin einmal an, bevor er in Hörspielmanier fortfährt.
Drei Monate hatte er sich in Zehdenick – im Buch Oberhavel genannt – einquartiert, reichlich Material für sein Buch gesammelt, das als „teilnehmende Beobachtung“ untertitelt ist. Daselbst nimmt der Reporter am Herumstehen, am Gucken und Biertrinken teil und erlebt, dass ihn die Leute ganz von sich aus ansprechen. Natürlich habe er die Zehdenicker in sein Projekt eingeweiht, mit den verschiedenen Protagonisten seine Aufzeichnungen besprochen, erzählt von Uslar im Verlauf des Gesprächs mit dem Moderator Jan Sternberg und auf Fragen des Publikums hin. Auch anschließend habe er mit allen noch einmal gesprochen und jedem sein Buch in die Hand gedrückt. „Jut, danke“, hätten die meisten nur gesagt und es just beiseite gelegt, während einige sogleich darin blätterten, sich selbst wiederzufinden.
Doch mittlerweile, erzählt von Uslar vergnügt, sei er mit seinem Buch schon so oft in Zehdenick aufgekreuzt, dass man dort wohl langsam genug von ihm habe. Damals habe er wie ein Romantiker die Arbeit hingeschmissen, sich für sein Projekt eine Auszeit genommen und sei aus Berlin raus in die brandenburgische Provinz gefahren, wo die Wahl dann spontan und auch aus ganz pragmatischen Gründen auf Zehdenick fiel. Bei weitem nicht der kaputteste Ort, ja eigentlich sogar ein recht hübsches Fleckchen. Die Vorurteile werden dennoch gepflegt und stilisiert. Etwa im vorgelesenen Kapitel „Waldstraße“, das nahe einer von gefluteten Baugruben umsäumten Industrieruine am Stadtrand spielt. Der Reporter stößt auf ein einzeln stehendes, verwahrlostes, „alkoholisiertes“ Haus, einen „Gespensterkasten“, wo er einen Vollbärtigen in kurzen Hosen trifft und von einem Greis dröhnend angeschnauzt wird.
Welch eine herrliche, wunderbar vorgetragene, von anhaltendem Gekicher begleitete Szene! Doch wenngleich von Uslar in „Deutschboden“ auch noch so gnadenlos und mit dicken ironischen Vorzeichen versehen auf den Klischees von Abwanderung, Verfall, Hartz IV und rechtsradikale Töne herumreitet, geht es ihm doch nicht explizit um allein einen Ort in der brandenburgischen Provinz, sondern um den Typ Kleinstadt, die auch in jeder anderen strukturschwachen Gegend der Bundesrepublik liegen könnte. Darauf legt von Uslar wert und eine Dame aus dem Publikum bestätigt dies prompt, sie habe das Buch genau so gelesen.
Überaus unterhaltsam, herzlich, vor allem aber glaubhaft und echt geht es in „Deutschboden“ zu. Schließlich verlässt der Fremde Oberhavel ja als „Einheimischer“ und verzichtet glücklicherweise auf Beschönigungen im Nachhinein. Die genussvoll verlesene Original-Säuferlyrik, mit der von Uslar nach gut anderthalb Stunden seine Lesung beendet, ist sicher der beste Beweis. Daniel Flügel
Daniel Flügel
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