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Kultur: Heterogen

Die lange Nacht des freien Theaters im T-Werk

Stand:

„Bleib, Göttin, bleib“ schrie eine Maskengestalt, aber die Göttin im wabernden Gewand schwebte durch die Zuschauer hindurch, als sei sie ein Engel und husch, weg war sie, den Fäden einer Pusteblume gleich. Der mit dem Stierkopf kam sogleich, um mit seinen Hufstelzenbeinen dem Publikum nach dem Leben zu trachten. Etwas Entspannung trat ein, als der Stuhlakrobat derartig in den umgedrehten Stuhl verklemmt schien, dass ihn nur noch der sanfte Druck einer Besucherin daraus befreien konnte.

Mit diesem Potpourri der Gruppe „Ton und Kirschen“ begann am Samstagabend die lange Nacht des Freien Theaters vor dem neuen T-Werk. Auf staubigem Boden und vor den Resten ruinöser Kasernen zeigte das internationale Straßentheater, was es kann. Angelina, die zärtlichste aller Marionetten, liebkoste und umarmte ihren Orlando, als der böse Ritter Ronaldo um ihre Hand anhielt. Oh, und was ist das für eine Hand, sagte Ronaldo auf Spanisch wie zur Begründung und forderte ohne Umschweife den Rivalen zum Kampf auf. Am Ende lagen die beiden Marionetten tot in der staubigen Wüste, und Angelina legte sich gleich mit dazu, was soll sie auch allein in der grausamen Welt?

Es war ein guter Auftakt der über den zweiten Beitrag des Abends vom Piccolo Theater aus Cottbus hinwegtrösten sollte. Denn was da Dussel und Schussel machten, war weniger fantasiereich, als es die Ankündigung vermuten ließ. Sie fürchteten sich vor Fußspuren, und versuchten in einer Art assoziativer Collage eine Geschichte zu inszenieren, was aber nicht richtig hinhaute. Sie ließen das Publikum trampeln und nutzten die Zuschauer in vermeintlich witziger Einbindung. Als Dussel (oder war es Schussel?) sich vor einem Gewitter fürchtete, ruderte er mit den Armen gegen den Wind und nahm die Hinterköpfe einiger Sitzender, um sich davon abzustoßen. Später wühlten die beiden auf der Suche nach dem grünen Buch, in dem „das Geheimnis“ steht, auch schon mal in einem fremden Rucksack oder rochen an einer Jacke – na ja – eine Art des Mitmach-Theaters, die nicht jedem gefallen muss.

„Nicht Schöneres“ hieß das Stück von Oliver Bukowski, das Simone Frost vom Theater “89 Berlin dramatisch interpretierte. Sehr dramatisch. Frost steigerte sich mit Augenrollen und Haareverwuseln derart realistisch in die Geschichte eines zweiten Frühlings, dass man Mechthild Huschke in Person vor sich zu haben glaubte. Dieses Berliner Original aus dem Proletariat trägt ihr Herz auf dem rechten Fleck und der Zunge, hat schon allerhand erlebt und wischt die schlimmsten Verletzungen schnell mit einer frechdachsigen Bemerkung weg. Als die Geschichte einsetzt, hat sie gerade einen neuen Lover per Inserat kennen gelernt, und der widmet ihr ein Gedicht, in dem sich Schild auf ihren Vornamen Mechthild reimt und ihr vor Rührung die Tränen kommen. Sie kann ihn noch riechen - ein bisschen Zimt - und kommt in ihrer assoziationsreichen Überlegung auch zu ihrem Dieter, dem Mann, der sie heiratete, aber mit dem Stein des Eherings ihr Gesicht zerkratzte. Als es dann noch schlimmer kam mit der ehelichen Gewalt, bereitete sie den Häcksler so vor, dass er hineinfiel. Der Autor beherrscht die Situationskomik, er mischt Drastik mit Gefühl, und Simone Frost konnte die unterschiedlichen Stimmungen lebensecht umsetzen. Die Namensverwandtschaft mit dem amerikanischen Skandalautor muss Oliver Bukowski dazu getrieben haben, in seiner Bildwahl häufig in pornographischen Gefilden zu stochern, schade, denn davon hat uns doch schon das Privatfernsehen geheilt.

„Herr Schmetterling sucht eine Braut“ vom Theater Nadi machte diese Ausrutscher zum schlechten Geschmack hin wieder wett und zeigte in poetischen Bildern pantomimisch das Aufblühen und Vergehen der Liebe. Das nach Motiven von H.C. Andersen gestaltete Stück lebte auch durch die faszinierende Fremdheit von Noriko Seki, die sowohl als krähender Wecker bei der Aufwachszene als auch als welkende Blume höchst anmutig wirkte. Mit Ausschnitten aus „Leonce und Lena“ schloss das Poetenpack spät diese heterogene lange Nacht ab. Lore Bardens

Lore Bardens

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