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Konzert im Waschhaus: Heuschnupfen unter Eichen
Die Mighty Oaks spielten rührend im Waschhaus: Wer keine Schulter zum anlehnen fand, musste sich am Dienstag im Waschhaus allein durch die zuckersüßen Melodien treiben lassen.
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Es scheint eine recht melancholische Generation zu sein, die sich mit einem so ausgeprägten Enthusiasmus in ein so tragisches Konzert stürzt – und das mit so rasanter Geschwindigkeit: Am Montagvormittag löste das Waschhaus erst auf, wer sich hinter der nebulösen Überraschungsband verbirgt – am Abend desselben Tages war das Konzert von Mighty Oaks bereits restlos ausverkauft.
Als Support der Mighty Oaks trat Jackson Dyer an – ein Einmannprojekt der Sorte, wie sie in letzter Zeit wie Pilze aus dem Boden sprießen: Immer mehr Singer-Songwriter würden gern mit Band spielen, haben aber irgendwie keine Musiker parat. Trost spendet die Loop Station, der Lego-Selbstbaukasten für den Hobbymusiker. So wird ermöglicht, sämtliche Instrumente auf Dauerschleife loszujagen und nur die eigene Stimme und die Gitarre selbst darüberzulegen. Jackson Dyer machte für einen Anheizer ganz passables, melancholisch-verträumtes Songwriting ohne großes Einschlagspotenzial. Bemerkenswert war, dass es nach dem Konzert draußen zu regnen begann: nicht ganz unpassend.
Aber man war doch wegen der Mighty Oaks da, die sich sofort in die tiefsinnige Melancholie warfen. Herrje, war das schön! Wie angewurzelt blieben alle stehen, den Blick verklärt zur Bühne. Es ging um den Aufbruch, das Wegrennen, was die Band in theatralische Triolen verpackte. Schon beim Eröffnungssong wischten sich die Ersten verstohlen ein Tränchen aus dem Auge, wohl ihre Umwelt beobachtend, damit das auch keiner mitbekam. Folk? Nein, eher schon ein Country-Einschlag voll zuckersüßer Melodien, die von der rauchigen Stimme des Sängers etwas Herbes zurückbekamen.
„Ich schwitze meinen Heuschnupfen gerade aus“, sagte Sänger Ian Hooper in tadellosem Deutsch; seinen Akzent konnten nur ganz Spitzfindige heraushören. Aber die Gegend, aus der er komme, besitzt nun mal nur Nadelbäume – die Laubbäume hier seien schuld daran, und das schließt auch die Eichen des Bandnamens irgendwie nicht aus. Wer unter Nadelbäumen sozialisiert wurde, der kennt eben keinen Heuschnupfen.
Viel Chorus läuft ja im Moment eh ganz gut, aber von einer inflationären Verwendung schmachtender Gesangskonstruktionen – peinlich oder aufdringlich – konnte hier nicht die Rede sein. Nun ja, so richtig wusste man es manchmal nicht mehr, ob das noch der letzte Song oder schon der nächste ist, aber das Rad wollte die Band auch nicht neu erfinden. Eher drehte sie sich im Kreis um Chorus, hohe Stimmen, Leadgesang und das unverzichtbare Keyboard. Was soll's, wer nicht mit den Tränen kämpfte und seinen Kopf an anderer Leute Schulter lehnen konnte, ließ sich einfach treiben im Sound des Quartetts, das die Besucher nach einem gut gefüllten Programm hinaus in die Nacht entließ, die noch ein bisschen trüber als zuvor wirkte. Der Jubel blieb jedoch im Saal.
Oliver Dietrich
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