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Kultur: Heute hier, morgen hier

Hannes Wader spielt ein schönes Konzert im Nikolaisaal, scheint aber politisch ein wenig müde

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Wenn Hannes Wader eines immer war, dann ein politischer Chansonnier. Mag sein, dass er das in seiner Anfangszeit, beeinflusst von Erzählern mit Gitarre wie George Brassens und Bob Dylan, gar keiner sein wollte, aber die Zeiten forderten es eben: Anfang der 70er überließ Wader seine Hamburger Wohnung einer angeblichen NDR-Reporterin – die sich nicht nur als das RAF-Mitglied Gudrun Ensslin entpuppte, sondern auch noch durch Sprengstoffexperimente dessen Wohnung verwüstete. Vielleicht führte auch die folgende Vorverurteilung und linksradikale Brandmarkung durch die Öffentlichkeit dazu, dass Wader sich als Friedensaktivist und bekennender Kommunist engagierte.

Das ist alles schon lange her, seinen Tenor der Rastlosigkeit hat Wader dennoch bis heute nicht abgelegt. Vielleicht ist das auch der Grund, dass er zu seinem Konzert am Mittwochabend im ausverkauften Nikolaisaal gleich sein Markenzeichen als Auftakt bringt: „Heute hier, morgen dort“ singt er mit seiner unverkennbaren Bassstimme, diese so oft kopierte und verballhornte Weise, mit der Wader auf immer verbunden ist. Und er bleibt bei seiner Ruhelosigkeit, erzählt Geschichten aus vergangenen Zeiten und anderen Orten, von einem Hotel in Oregon, „eine grauenhafte Absteige“, dessen schlaflose Nacht er im Lied „Hotel zur langen Dämmerung“ zu einer leisen Geschichte voller wunderbarer Bilder zusammenfasst, als ob er seine Entwurzelung nur in positive Erfahrungen umzuinterpretieren braucht.

Vom realen Ort geht es an den fiktiven, als einen Exodus ins Paradies: Mallorca komme für seinen Lebensabend nicht infrage, er sei eher für eine griechische Insel im Mittelmeer, auch wenn er dort noch nie war – für ein wenig Pseudofolklore im Sieben-Achtel-Takt reicht es allemal. Oder für ein wunderbar komödiantisches Liebeslied, in dem er seinen Wegbegleiter Reinhard Mey auf der Gitarre „Heute hier, morgen dort“ spielen lässt, während er nur ganz klein auf der Blockflöte ein „Gute Nacht, Freunde“ zustande bringt. Irgendwann kurz vor der Pause landet er dann wieder beim Unterwegssein, „vom Leben ans fremde Ufer gespült“ – und singt über die Veränderung: „Wenn du glaubst, du kannst dich über andere erheben / deine Herkunft bleibt dir immer an den Hacken kleben“, heißt es da. Alles bleibt eben.

So schön das auch ist, ist es doch so aufdringlich belanglos, wie Wader niemals war. Ist er so müde, dass er nichts mehr zu sagen hat, sondern nur noch unaufgeregte Unterhaltung für ein Publikum zu bieten hat, das ihn wohlwollend mit Applaus honoriert? Immerhin scheut sein Freund und Wegbegleiter Konstantin Wecker keine Gelegenheit, um sich zum Status quo der Gesellschaft zu äußern, in der doch gerade so viel schiefgeht. Wie kann Wader da von Mittelmeer und Griechenland singen, beides inzwischen Metaphern, die einen politischen Liedermacher doch zur Äußerung zwingen müssen?

„Ein ungetrübter Strandurlaub am Mittelmeer ist nur noch zu leisten mit einer gigantischen Verdrängungsleistung“, wird er endlich nach der Pause sagen, und im Lied „Morgens am Strand“ diese Idylle durch die Leiche einer schwarzen Frau zerstören, die zwischen Bootstrümmern an den Strand gespült wird. Und in seinem fein schwarzhumorigen „Lied vom Tod“ wird er singen, dass er in seinen letzten Lebenssekunden in die NPD eintreten werde, um es feixend all den Schweinehunden heimzuzahlen. Gott sei Dank: Wader ist doch noch Wader. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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