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Wie Georg Hermann sie sah. Die Breite Straße in den 20er Jahren, von Bäumen gesäumt, dominiert vom Turm der Garnisonkirche und am Ende beschlossen von den beiden Obelisken des Neustädter Tors.

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Kultur: Hier hat man immer gute Durchblicke

Mit Georg Hermanns „Spaziergang in Potsdam“ vor dem alten Stadtschloss, im Lustgarten und dann hinein in die Breite Straße

Stand:

Georg Hermanns Buch „Spaziergang in Potsdam“, 1926 zum ersten Mal erschienen, wird in diesem Jahr wieder aufgelegt. Von großer Aktualität – vor dem Hintergrund des Stadtschloss-Neubaus in Potsdam und der kontrovers diskutierten Rekonstruktion der Garnisonkirche – ist Hermanns Überlegung, wie Altes mit Neuem sinnvoll verbunden werden kann. So lässt sich sein „Spaziergang in Potsdam“ auch als Anregung für die Diskussion um Tradition und Gegenwart in der Architektur und Stadtentwicklung lesen. In drei Teilen stellen die PNN das Buch auszugsweise vor. Heute lesen Sie den zweiten Teil.

Wo man auch in Potsdam steht, immer hat man gute Durchblicke, immer geschlossene und stileinheitliche architektonische Bilder, und zwar in einem ganz andern Sinne, als das sogenannte malerische Bild der süddeutschen Stadt. Auch das Straßenbild ist in Potsdam räumlich und plastisch gedacht!

Sie meinen, es zieht hier auf der Brücke doch auf die Dauer vom Wasser herüber. Sie mögen recht haben. Aber es ist doch so hübsch hier zu stehen, und nach dem Schloss, dem Lustgarten, den Kolonnaden herüberzuträumen. Es hat nicht immer so ausgesehen wie jetzt. Erst war es ein richtiges altes Wasserschloss, von einem breiten Graben umgeben, mit Brücken als Zugängen, mit vier Eckpavillons und einem dicken eckigen Turm. Im Dreißigjährigen Krieg diente die Kirche darin als Getreideschuppen, und in der Gesindestube war der Schafstall. „Es siehet sonsten wohl seltsam aus, aber vor einen Schafstall ist es schon stattlich.“ Dann wurde es ein etwas dusteres BarockSchloss unter dem Großen Kurfürsten und seinen Nachfolgern nach Art des Mauritshauses. Denn dessen Schöpfer hatte hier auch eine beratende Stimme gehabt. Dann baute Schlüter dem preußischen Königtum einen Prunksaal ein, von dem nur noch ein paar Deckengesimse und Dekorationen auf uns gekommen sind. Aber, wie wir es heute vor uns haben das StadtSchloss, ist es im Ganzen friderizianisch. Das heißt: Damals war alles viel farbiger. Der Bau war rot getüncht, und das Kupferdach war blau mit reichlicher Vergoldung. An den Seitenflügeln, die Boumann vorgezogen hatte, waren noch die großen Masken, von denen Knobelsdorff spottend sagte, dass sie nicht dem Wohnort eines christlichen Königs zukämen, sondern einem türkischen Serail, an dem viele abgeschlagene Menschenköpfe zur Schau gestellt wären. Die Neptunsgruppe da drüben, der Triumph der Galatee in dem Teich, war noch nicht aus Sandstein, sondern in Bleiguss und vergoldet, und hier links an dem Wasser entlang waren überall goldene Püppchen auf der Balustrade und hinten auf den Abschlüssen, die den Lustgarten von allen Seiten umschlossen, ja, da gab es sogar 40 eingelassene Landschaftsbilder usf. Die Plastik war viel reicher vertreten, auf der Balustrade allein dreißig Kindergruppen und das ganze Bild war eben bunter und lustiger. In einem Flügel des Schlosses unter einer Kuppel war eine Kirche und im andern ein Theater. Und nachdem – bezeichnend genug – Friedrich der Große die Kirche in Bedientenzimmer hatte umwandeln lassen, ließ Friedrich Wilhelm der Dritte das von Nahl geschaffene Theater – der gleiche, der die herrlichen Privaträume Friedrichs schuf, in Blau und Silber – wiederum bezeichnend genug! – in Beamtenwohnungen umbauen. Das ist bedauerlich und eine ziemliche Barbarei. Denn Kirchen haben wir genug; aber niedliche echte Rokokotheaterchen, in denen man eine Barbarina und eine Camargo von heute tanzen lassen könnte, Schäferspiele, jungen Goethe und Molière spielen könnte, gibts kaum noch. Und der große Kuppelbau auf dem Markt da drüben war auch noch nicht da - er ist ja von Schinkel. D. h. eigentlich wollte Schinkel, seinem Wesen gemäßer, solch eine Art antiken Tempel hinbauen. Aber, als man ihm dieses heidnische Vorhaben verwies, zog er sich so aus der Affäre. Man kann dieses So bejahen oder verneinen. Ich sprach schon darüber, weshalb ich es – bei aller Diskrepanz der Stile! – nicht missen möchte. Schinkel war eben so groß, dass er selbst aus einer verfahrenen Situation rettete, was zu retten war. Also statt dieser Kirche stand da einmal eine Barockkirche, vor die Friedrich der Große, als Scheinfassade, das Portal von Santa Maria Maggiore in Rom setzen ließ. Die Geistlichkeit beschwerte sich: Man könnte nun in der Kirche nichts sehen. Worauf Friedrich der Große randbemerkte; „seelig die, die glauben und nicht sehen“.

Aber eines schönen Tages ließ ein Handwerker bei einer Reparatur auf dem Turm einen Lötofen umfallen, und damit wurde dann dieses Ärgernis durch Feuer beseitigt.

Doch ehe wir nun beginnen, durch die Stadt zu schlendern, sehen wir uns mal hier die Kolonnaden an, die Knobelsdorff von der Havel ans Schloss heranführte und drüben dann vom Schloss zum Marstall, der nebenbei eine umgebaute Orangerie aus der Zeit des Großen Kurfürsten ist. Und werfen wir einen Blick auf die Rampen des Ufers. Sehen Sie mal, wie angenehm und einfach die in den Proportionen sind und wie hübsch in der Lösung der Linien. Und was ist es, weshalb ich diese Kolonnaden so liebe? Sie gehören mit zu den Bildern, die in meinem Hirn sofort herausspringen, sowie das Wort „Potsdam“ fällt. Ich will es Ihnen sagen: Weil sie völlig sinn- und zwecklos sind, reiner Schmuck, absolute Schönheit. Ein Gitter sind sie nicht. Ein Abschluss auch nicht, wenigstens mehr ein gedachter als ein wirklicher. Riesige kannelierte Säulen tragen ein Gesims. Sie müssen sich zu zweien und dreien zusammenrotten, um es überhaupt tragen zu können. Und was ist es, das sie tragen? Eine niedere durchbrochene Balustrade, die mit ein paar schönen, geschweiften Vasen und ein paar Puppen und augenfälligen Nacktheiten besetzt ist. Kein Weg führt an der Balustrade entlang, nein sie ist einfach weglos in die freie Luft hinaufgeträumt, vielleicht für Götter, die da oben spazieren gehen sollen. Und in dem hohen luftigen Rahmen, die von Säulen, Gesims und der steinernen Fußplatte gebildet werden, sitzen sockellos, direkt dir gegenüber, ganz phantastische steinerne Brunnen, oder zwei mannshohe Tafelaufsätze – mit Weibern, Muschelschalen, Putten, ein sinnliches Gewirr von Leibern und Formen, mit Wasser, das hochspritzt, Wasser, das herunterrinnt, das natürlich auch kein Wasser ist, sondern Stein. Und durch diese Baukulisse, die ebenso mit Steinen wie mit Luft und Himmel und Wolken als Baumateralien rechnete, sieht man das Schloss, den weiten Paradeplatz, den Lustgarten, die Neptunsgruppe drüben und sieht hinten als Schluss, zwischen der Kommandantur und den andern schlichten Knobelsdorffschen Häusern die „Breite Straße“ sich öffnen, den Turm der Garnisonkirche, und ganz, ganz hinten als Abschluss (über die Mangersche Brücke fort) die Obelisken des Neustädter Tors. Das heißt wir sehen mit einem Blick, wie im Querschnitt für diese Stelle, durch ganz Potsdam hindurch und fühlen schon, bevor wir eintreten, diese bewusste, plastisch in Raum gedachte Stadtanlage.

Ach, bummeln wir erst mal zu dieser Neptunsgruppe herüber, die da inmitten von Entengrütze und Schilf grau in ihrem Wasserbecken ihr steinernes Dasein führt. Sie ist auch von Knobelsdorff entworfen. War eigentlich Metall und vergoldet – wie ich schon sagte – und ist erst, als sich dessen Vergänglichkeit bewies, in Sandstein (oder so) umgesetzt worden. In letzter Zeit glaube ich, hält auch das nicht mehr. Mich hat die Gruppe immer entzückt, trotzdem sie nicht mehr sein will, als sie ist: eine Gartenplastik. Erstens hat sie die Natur gern. Denn im Herbst wuchs immer Ampfer und Wasserfenchel und Schilf und Binsen und Schierling und, was sonst noch üppig wird und Feuchtigkeit liebt, dicht um sie herum, kroch auch auf die Sockel, quetschte sich in die Steinrinnen, hob ordentlich die Schwimmbeine der Meerpferde. Und dann war an der Gruppe alles in wilder Bewegung. Der zornige Meergott wollte mit seinem Dreizack in die Wogen stoßen. Die Tritonen bliesen alle Backen auf – „hört wie ins Muschelhorn die Steintritonen blasen“ – die Meerpferde lassen sich kaum zügeln und sind eben vor dem Durchgehen. Und oben, ganz oben, thront fast völlig unbewegt, ruhig und aufrecht, die schöne, großgliedrige Galatee und lässt sich die Sonne auf den wundervollen Rücken brennen, der Stein und Fleisch zugleich ist. Alle rackern sich ab, rackern sich für sie ab. Aber es spritzt ihr da oben nicht bis an die Fußsohlen. Sie nimmt’s als selbstverständlichen Tribut an ihre Schönheit hin, die nur ihr gehört, und die sie verschenkt, aber nie eintauscht. Sie mögen Recht haben, dass ich diese Gruppe vielleicht gar nicht ihrer bestreitbaren Kunst wegen liebe, sondern wegen Zufälligkeiten, wegen eines Sinns, den ich mir hineingelegt habe. Ja, aber ist es nicht zum Schluss mit aller Liebe so, dass wir Dinge und Menschen des Bildes wegen lieben, das wir uns von ihnen machen? Und glauben Sie etwa, dass es bei der Kunst viel anders ist?

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