Von Philipp Kühl: Hier kommt Alex!
Die Autonome Theaterjugend brachte „Clockwork Orange“ im Casino zur Premiere
Stand:
Nackte, kahle Betonwände. Es herrscht kalte Fabrikatmosphäre. In der Mitte des Raumes ist ein viereckiger Laufsteg montiert. Wie in einer Arena hat sich das Publikum um den mit weißem Plüsch umpuschelten Catwalk gruppiert. Scheinwerfer schleudern ihr grelles Licht auf die Szenerie. Was für ein seltsames Spiel soll hier geboten werden? Unbehagen kommt auf. Drei bizarre junge Männer betreten den Laufsteg und es ist klar, dass sie sich keine Freunde machen wollen. Alex und seine halbwüchsigen Kumpels, die sich „Droogs“ nennen, übernehmen fortan das Kommando. Sie schlagen arme, wehrlose Bürger auf der Straße zusammen. Sie rauben, vergewaltigen und ertrinken ihre Aggressionen in Blut und Gewalt.
„Clockwork Orange“ heißt dieses düstere Stück, das am Freitag im Potsdamer Casino von der „Autonomen Theaterjugend“ zur Premiere gebracht wurde. Die jungen Schauspieler nehmen den Zuschauer hautnah mit in die skurrile Welt des Alex. Nach Menschenjagd und Prügel exzessen liegen wir mit Alex und seinen „Droogs“ in ihrer Stammkneipe und lassen uns die Sinne vom Drogengesöff, der Messermilch, benebeln. Nymphen aus einer anderen Welt räkeln sich im Rotlicht. Dekadente Jazzmusik legt sich wie Valium über unsere Sinne. Wir versinken im Spiel und lassen die groteske Zukunftsvision auf uns wirken. Auch Alex Eltern stehen ihrem entarteten Sohn hilflos gegenüber. Der durchaus intelligente Teenager führt alle an der Nase herum. Anpassungsfähig wie ein Chamäleon manipuliert er das Geschehen zu seinen Gunsten.
Der noch junge Hauptdarsteller Jonathan Dümcke in der Rolle des Alex versteht es eindrücklich, uns diesen perversen Kunstcharakter nahe zu bringen. In jedem seiner Worte schwingt die subtile Arroganz gegenüber seiner Umwelt mit. Doch eines Tages findet der Siegeszug des halbstarken Brutalos ein jähes Ende. Alex’ Freunde sind mit seiner Führungsrolle in der Gruppe nicht mehr zufrieden und nehmen Rache. Bei einem ihrer Raubzüge schlagen sie ihn nieder und überlassen ihn der nahenden Polizei. Das Opfer ihres Verbrechens stirbt und Alex muss im Gefängnis dafür büßen. Hier beginnt die zweite Geschichte des Alex. Er wird zur tragischen Figur. Um aus dem Gefängnis frei zu kommen, stellt sich Alex als Proband für eine neuartige Behandlung zur Verfügung. Mit Drogen und abschreckenden Gewaltfilmen wird Alex so konditioniert, dass ihm ab sofort jeder Gedanke an Gewalt furchtbarste Übelkeit verursacht. Fortan ist er der Ausgelieferte und seine ehemaligen Opfer wenden sich gegen ihren Peiniger.
Die Inszenierung des erst 19-jährigen Regisseurs Tino Hillebrand und seiner jungen Theatergruppe besticht, trotz weniger Requisiten, durch ein äußerst abwechslungsreiches, lebendiges Spiel. Die sieben Darsteller erweisen sich als Verwandlungskünstler. Nicht weniger als 30 verschiedene Rollen füllen sie mit Leben, ohne dass es zu Missverständnissen oder Verwechslungen kommen würde. Kleine Details wie Perücken oder minimale Kostümänderungen helfen zusätzlich die Rollen gegeneinander abzugrenzen.
Die Spannung der unterschiedlichen Figuren kann in dem dreistündigen Mammutprogramm von fast allen Schauspielern gehalten werden. Besonders dem Darsteller des Alex gelingt es, seinen Charakter mit nahezu beängstigender Perfektion auszumalen. Die akustische Untermalung der ebenfalls aus Schülern zusammengesetzten Liveband intensiviert die ohnehin schon krassen Bilder zusätzlich.
Nur zum Ende geht der Inszenierung etwas die Puste aus. Der zum Gutmenschen gedopte Alex findet sich in seiner ihm feindlich gesinnten Umwelt nicht mehr zurecht und nimmt sich das Leben. Der Selbstmordversuch schlägt fehl, doch als Alex aus dem Koma erwacht, ist er wieder ganz der alte. Hier schließt das Stück und lässt den Zuschauer mit einigen Fragen zurück. Da sich die Inszenierung etwas zu lange an einzelnen Stationen der Handlung aufhält, fehlt ihr am Schluss die Zeit, den Plot verständlich aufzulösen. Doch vielleicht ist es nicht immer nötig, alles verstehen zu müssen. Die Problematiken, die das Stück aufwirft, stehen für sich. Dinge wie: Identitätssuche, Ohnmacht, Gewalt, Sinnlosigkeit oder das mechanische Funktionieren in der Gesellschaft brauchen keine moralische Erklärung. Am Ende begleitet die Theatergruppe kräftiger Applaus in die Tiefen des Casinos.
Weitere Vorstellungen am 18. und 22. Februar im Casino, Pappelallee 8-9, Kartenbestellung unter autonometheaterjugend@gmx.de, Preis 2/3€.
Philipp Kühl
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