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Kultur: Hilfe von der Hexe für bittere Lehren Premiere in der Reithalle: „Stark für einen Tag“
„Das lernst du nie.“ Mit dieser Sequenz einer lapidaren Erniedrigung beginnt das Theaterstück „Stark für einen Tag“ für Kinder ab sechs Jahre, das unter der Regie von Kerstin Kusch am Donnerstag in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere feierte.
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„Das lernst du nie.“ Mit dieser Sequenz einer lapidaren Erniedrigung beginnt das Theaterstück „Stark für einen Tag“ für Kinder ab sechs Jahre, das unter der Regie von Kerstin Kusch am Donnerstag in der Reithalle des Hans Otto Theaters Premiere feierte. Nach dem Buch von Ole Lund Kirkegaard von Gero Vierhuff für die Bühne bearbeitet, sehen wir unmittelbar darauf, was diese vermeintlich lapidare Erniedrigung auch ist, und zwar eine präzise Form der Opferzuweisung. Opfer ist, wer klein ist. Opfer ist, wer nichts weiß. Opfer ist, wer kein Selbstvertrauen hat und sich nicht wehren kann. Gegen die Großen. Die Mächtigen. Die Blender von Herrschaft. Und sei es, dass es sich um den eigenen Vater handelt. Die Frage also lautet: Wie werde ich ein souveränes Subjekt?
„Stark für einen Tag“ ist ein Stück über den Jungen Ivan Olsen, klein Ivan in der Revolte, ganz nach Nietzsche: Was dich nicht umhaut, macht dich stärker. Gespielt vom sympathisch anmutenden Jan Jaroszek, bewegt sich Ivan narrativ erinnernd durch die Traumata seiner Kindheit. Schwächlich und „dünn wie ein Blatt im Wind“ bietet Klein-Ivan die perfekte Angriffsfläche für alle erdenklichen Bösartigkeiten. Vorzugsweise für die Einwässerung seiner Hose, was zu maximaler Häme führt. Von seinem Vater hat er nur bedingt Hilfe zu erwarten. Der will, dass er sich wie ein richtiger Mann verhält, und bietet seinem Sohn als literarisches Vorbild „Tarzan, König der Affen“ an. Ivan weiß nichts von den Schwierigkeiten, in denen sein Vater steckt. Mama ist auf Reisen, die offenbare Kaschierung der Trennung der Eltern.
Es braucht erst ein außerordentliches Ereignis, in diesem Fall eine Hexe, heiter bespielt von Nora Decker, die nichts weniger als vier Rollen innehat, um eine Veränderung zu stimulieren. Sie bereitet Klein-Ivan einen Zaubertrank aus Froschschleim und Seifenblasen zu und summt beiläufig „Highway to hell“. Das gehört auch zu dieser Gesellschaft: Die Selbstermächtigung funktioniert nur über die Indienstnahme des Bösen. Die psycho-drogistische Hilfsmaßnahme jedenfalls lässt Ivan über sich hinaus hinauswachsen und alle Widerstände überwinden. Er zeigt es allen, sogar seinem Vater. Und wenn nur im Traum.
Die Reithalle bietet eine optimale Nähe zur Bühne. Wer gelangweilte und unaufmerksame Kinder erwartet: Fehlanzeige. Die sind eng dran am Geschehen und vollziehen lustvoll wie pädagogisch vereinnahmt zwei Lektionen. Die erste lautet Empathie. Und die zweite: „Wer nicht das Bittere gekostet hat, weiß nicht, was süß ist.“ Ralph Findeisen
Ralph Findeisen
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