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Kultur: Himmlisches Spiel und tiefer Ernst

„Barock bedeutet eine unter der Wasserfläche befindliche Ansammlung von unregelmäßigen Perlen“, erklärt der Violinist Thomas Pietsch gleich zu Beginn seines Konzerts in der Friedenskirche Potsdam Sanssouci. Ein schönes Bild, das die Eigenheiten der Barockmusik jedoch nur teilweise beschreibt.

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„Barock bedeutet eine unter der Wasserfläche befindliche Ansammlung von unregelmäßigen Perlen“, erklärt der Violinist Thomas Pietsch gleich zu Beginn seines Konzerts in der Friedenskirche Potsdam Sanssouci. Ein schönes Bild, das die Eigenheiten der Barockmusik jedoch nur teilweise beschreibt. Was kein Wunder ist, schließlich stammt der Begriff „Barock“ aus der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts. Auf damaliger Augenhöhe mit Klassik und Romantik stehend, hatte man für die Musik früherer Epochen nicht viel übrig. Heute, wo Oper und Instrumentalmusik der vorklassischen Epochen gepflegt werden, sieht das anders aus. Dem Originalklang verpflichtet ist der gebürtige Potsdamer Thomas Pietsch, der am Hoch-Konservatorium in Frankfurt/ Main Barockvioline lehrt. Zwei der von ihm ausgewählten vier Kompositionen aus der Hochzeit des Barock stammten von Johann Sebastian Bach. Das war wohl auch dem Anliegen der veranstaltenden Bachtage Potsdam geschuldet. Völlig zu Recht verrückte Thomas Pietsch ein wenig die Perspektive, indem er darauf hinwies, dass Georg Philipp Telemann keineswegs ein „Zulieferer für Johann Sebastian Bach gewesen ist, sondern ein großer Europäer, dem in Paris der rote Teppich ausgerollt wurde.“ Zu seiner Zeit wurde Telemann weithin geschätzt, während der Name von Johann Sebastian Bach nicht über seine Wirkungssphäre hinaus reichte. Georg Philipp Telemanns Fantasie B-Dur für Solo-Violine, die Thomas Pietsch eingangs vortrug, zeigte indessen nur einige Facetten von Telemanns Kunst. Klar wurde aber, dass der Hamburger Musikdirektor Telemann, der den Ruf an die Thomaskirche abgelehnt hatte, an Erfindungsreichtum und Klangschönheit dem Thomas-Kantor nicht nachsteht, ja ihn bisweilen sogar an Eleganz und Raffinesse übertrifft.

Diesen Eindruck konnten auch zwei Bach-Werke für Solo-Violine nicht widerlegen, die zu den berühmtesten und schwierigsten überhaupt gehören. Die Partita h-moll und die Sonate g-moll wurden von Thomas Pietsch mit nüchterner Klarheit und tonreiner Strenge vorgetragen. Dabei kamen die überaus komplizierte Mehrstimmigkeit, kontrapunktische Widerläufe, Verzierungen und Punktierungen deutlich zum Vorschein. Wie weit es J. S. Bach mit der Abstraktion getrieben hat, zeigte sich beim Tempo di Borea, der hochvirtuosen Stilisierung eines ursprünglichen Tanzes. Erscheinen zunächst noch vereinzelt tänzerische Motive, so lösen sie sich schnell, erst Recht im folgenden Double, auf. Nicht nur in den vertrackten Doubles brillierte Thomas Pietsch mit stupender Technik und blitzender Tonfülle.

Noch ein heute kaum bekannter Großmeister war Heinrich Ignaz Franz Biber aus Böhmen, der in Salzburg wirkte. Die 15 Rosenkranz-Sonaten dieses genialischen Virtuosen zählen zu den gewaltigsten Werken der Violin-Literatur überhaupt. Darin spielt die abschließende Passacaglia eine besondere Rolle, indem sie beschreibt, wie Maria von zwei Engeln in den Himmel geführt wird. Ein Stück zum Hören und zum Philosophieren, wie kein zweites: Über einem ostinaten Motiv aus vier Tönen, einer absteigenden Moll-Tonleiter, erheben sich filigrane, kunstvolle Tongebilde, die tiefen Ernst und himmlische Verspieltheit gleichermaßen symbolisieren. Das heute gern als Zugabe gespielte Stück mit dem Beinamen „Schutzengel“ stand zu Recht im Zentrum des großartigen Solovortrags von Thomas Pietsch im Zeichen der Barock-Musik. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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