Kultur: Hintergründig und drollig
Jutta Lampe las Shakespeare
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Jutta Lampe las Shakespeare Die Liebe in den Zeiten der Pest, irgendwie scheint das zusammen zu gehören. So entstand das „Decamerone" des Boccaccio, auch Shakespeares selten zu hörendes Verseops „Venus und Adonis“ wurde geschrieben, als 1593 wegen der in London wütenden Seuche alle Theater geschlossen hatten. Der große Brite hat es dem Earl of Southampton gewidmet. Von unaufdringlicher Erotik wie die Florentiner Novellensammlung, schuf Shakespeare ein hintergründig-drolliges Werk, darin die Göttin der Liebe sich höchstpersönlich in ihren eigenen Schlingen verfängt. Grund ist der schöne Jüngling Adonis, der bildschöne Sohn des Königs von Zypern, von dem schon Ovid berichtet. Manche sagen, das Tierkreiszeichen Fische bilde die beiden ab. Venus jedenfalls begehrte ihn voller Leidenschaft und mit gewisser Brünstigkeit, doch ach, er war wie ein Pflock. Sie herzte und streichelte ihn, wandte all ihre Überredungskünste auf, doch vergeblich. Wo sie ihn band, blieb er voller Gleichgüligkeit. Was sie nun alles tat, den kühlen Jüngling zu bezirzen, ihn zu bereden und zu überlisten, das trug die Schauspielerin Jutta Lampe am Gründonnerstag einer überschaubaren Zahl von Zuhörern in der Reithalle A vor. Einerseits hätte man sich mehr Publikum gewünscht, andererseits fragte man sich nicht zum ersten Mal, ob das Hans Otto Theater nicht kleinere Räume für solche Veranstaltungen organisieren könne – ein Saal kann ja halbleer oder halbvoll wirken. Jedenfalls „sprach“ die bekannte Schauspielerin, neben sich ein dekorativer Osterstrauß, Shakespeares Vers-Epos mit Zurückhaltung, weicher Stimme und nur angedeuteten Gesten. Was auffiel, war der gleichmäßige Fluss, mit dem sie seine Sechszeiler las, dazu die sparsame Strukturierung, ohne jeden Kommentar. Dessen nun hätte es, verbal oder schriftlich, vielleicht bedurft, denn Venus“ Werben über vierundzwanzig Stunden endete sehr dramatisch. Adonis war ja bereit, ihr einen Kuss zu spendieren – was sie zu den süßesten Preisungen seines Mundes hinriss – wenn sie nur von ihm ließe. Denn der Bursche hatte nur die Jagd am nächsten Morgen im Schädel. Ach, seufzte sie, wenn er nicht bei ihr bliebe, werde er sterben. Sie sah schon alles voraus. Doch schnöde ließ er die Schöne alleine im Grase der Insel zurück, der Poet hatte die eleusische Handlung schließlich nach England verlegt. Es geschah, wie gedacht: Ein wildschnaubender Eber verwundete den schönen Jüngling schwer. Hättest du doch das scheue Wild gejagt, Füchse und Rehe, und von dem rüsseligen Kraftprotz gelassen, seufzte sie tief. Zu spät. Adonis verschied. Wo er lag, spross ein Blümelein empor, das Adonisröschen. Venus trägt es seitdem am Busen. Weil sie ihn nicht bekommen konnte und ihr Herz gar allzu schwer wurde, ließ Shakespeare sie einen folgenschweren Fluch ausstoßen, der seitdem jedem Nachgeborenen trifft: Liebe möge fortan nie mehr ohne Bitternis sein, unbeständig, voller Falsch, sie soll den Stärksten schwach, den Weisen stumm machen, kurz, aus der lauteren Liebe werde die mit Plagen und Lasten behaftete. Dass sie sich damit gleichsam selber schlug, geht aus dem Epos so wenig hervor wie der mythische Hintergrund hellenistischer Denkart. Mit dem kunstreichsten aller Schmiede verheiratet, liebte sie doch heimlich den Mars, und dieser war es, welcher vor Eifersucht brannte, sich in den wut- schnaubenden Eber verwandelte und Adonis tötete, seines Widerstandes gegen die schöne Venus nicht gedenkend. So war es im Mythos ja oft: Ein Oberer richtete Schaden an, die ohnehin geplagten Erdenmenschen hatten es auszubaden. Zum Trost gab es im Theater das Vergnügen, die schlichte Lesung von Jutta Lampe zu hören. Gerold Paul
Gerold Paul
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