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Kultur: Hofdame mit Etikette – Lebenslang „Kein Wintermärchen“ im Alexandrowka-Museum

Tausend Jahre Krone wiegen ein paar dutzend Jahre Demokratie nicht auf, irgendwas bleibt, und braucht nur aktiviert zu werden, um wieder „da“ zu sein. Das kann man bei den Russen bestens verfolgen.

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Tausend Jahre Krone wiegen ein paar dutzend Jahre Demokratie nicht auf, irgendwas bleibt, und braucht nur aktiviert zu werden, um wieder „da“ zu sein. Das kann man bei den Russen bestens verfolgen. Die erste Begleit-Veranstaltung im Museum Alexandrowka zur schönen Ikonen-Ausstellung bestätigte das am Sonntag recht eindrucksvoll, als es, theologisch-orthodox gerahmt, um die Lebenserinnerungen der Baroness Sophie von Buxhoeveden ging, die 1938 unter dem Titel „Kein Wintermärchen“ auch in Deutschland erschienen.

Zu dieser Soiree lauschten die Gäste mit Andacht, was Sophies Cousine Alexandra über deren Leben am Hofe des letzten Zaren zu berichten hatte – nicht nur ob der „russischen Seele“. Die Vorleserin Larissa Doris begleitete die bis Anfang 1914 reichenden Lebenserinnerungen mit russischen Liedern zur Gitarre.

Als „Ina“ um 1900 von Kasan her an den Hof der Romanows nach St. Petersburg gerufen wurde, war sie mit siebzehn Jahren „noch im Schulalter“. Gleich reihenweise listete ihr die Mutter Instruktionen auf, das Mädchen hatte ja keinerlei Erfahrungen mit so hoher Gesellschaft. Schnee, gefrorene Fenster, lange Schlittenpartien, dazu rauschende Bälle, all das kam dem Mädchen anfangs wie ein Wintermärchen vor. Nur nichts falsch machen! Aber es geschah dann doch, als ihr, Zar Nikolaus II. saß mit am Tisch, eine Geleekugel aus den Händen glitschte, oder sie sich ausgerechnet bei einem Empfang kurz vor dem Thron so in ihre endlos lange Kleiderschleppe verwickelte, dass sie hinfiel. Es brauchte zwei Diener, um die Ärmste wieder auf die Beine zu bekommen. Gut zu wissen, daß diese Herrschaften so heftig unter ihrer eignen Etikette stöhnte.

Solche Mitteilungen sind in kulturhistorischer Hinsicht gewiss sehr interessant. Die Baroness erweist sich als genaue Sittenschilderin, wobei es wohl in ihrer Natur lag, besonders den herrschaftlichen Glanz, die Garderobe und den Schmuck der versammelten Gesellschaft zu beschreiben. So erfuhr man, wie so ein Ball ablief, hörte von Neujahrsempfang und mitternächtlicher Ostermesse: Hier musste alle Welt am Kaiser vorbei und den Ärmsten küssen.

Im Jahre 1913 wurde Sophie von Buxhoeveden offiziell als Hofdame bestellt, sie landete im familiären Dunstkreis der Krone, wo sie mit den vier Töchtern der Zarin zu tun hatte, auch den kränkelnden Zarewitsch hätschelte. Sie konnte das erste Attentat auf den Herrscher 1905 bezeugen, sah, wie man mit dem Russisch-Japanischen Krieg umging, erwähnte auch Rasputins Heilkünste am Zarensohn, ohne auf das einzugehen, was die Geschichtsschreibung heute darüber weiß. Sogar bei der „Tragödie von Jekatarinenburg“ (Erschießung der ganzen Zarenfamilie) war sie dabei, entkam der Exekution aber wegen einer Blinddarm-OP und floh nach England, wo sie 1956 – als Hofdame – starb. „Dies alles habe ich miterlebt. Der Vorhang fällt über die alte Welt, die ich kannte und die mir lieb war“ heißt es im Epilog voller Wehmut. Was nach dem Ende des „Wintermärchens“ geschah, erzählen ihre anderen Bücher.Gerold Paul

Wiederholung am 5. April, 16 Uhr

Gerold PaulD

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