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Kultur: Hohe Literatur auf Ungarisch

Esterházy und Grecsó lasen in der Reithalle A

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Ungarn haben Humor. Und: Sie sind allesamt Literaten. Außerdem haben sie, sofern es sich um Männer handelt, volles Haar. Dies war am Samstagabend in der Reithalle A festzustellen, wo Peter Esterházys weiße Mähne den Saal erleuchtete und sein junger Kollege Krisztián Grecsó auch mit dichtem, aber kurz geschnittenem Haupthaar aufwartete. Anders als die Heldinnen des 2007 auf Deutsch erscheinenden Romans von Grescó „Gott zum Gruße“ nämlich sind bei dem jüngeren Autoren selbst keine Zeichen vorzeitigen Ergrauens festzustellen. Weder geistig noch körperlich macht er einen angeschlagenen Eindruck. Sein Mentor, der Friedenspreisträger Peter Esterházy, der vor allem mit der Familiensaga „Harmonia celestis“ hierzulande Furore machte, ist zwar schlohweiß, trägt sein Alter aber jünglingshaft gelassen.

Die kurze Szene, die Grescó erst in seinem singenden, mit an türkisch anmutenden Umlauten gespicktem und skandinavisch klingendem Südungarisch las, trug sein Förderer Peter Esterházy dann in ebenso musikalischem Deutsch vor. In einem kleinen, südungarischen Ort ergrauen zuerst die Haarspitzen der Chormitglieder des Gymnasiums, dann nehmen die Weißtöne immer mehr Überhand, bis sie auch andere Schüler ergreifen, und, so munkelt nun schon die ganze Stadt, wahrscheinlich auch die übrige Körperbehaarung. Strafe für unerlaubte nächtliche Zärtlichkeiten im Mädchenpensionat?

Die Lektüre klärte die Zuhörer darüber nicht auf, wohl aber über einen neuen Stern am Literatenhimmel, den Peter Esterházy durch seine Fürsprache nach dem Erfolg des Werks in Ungarn nun auch in Deutschland bekannt macht. Man kann gespannt sein, wie es weitergeht und sich jetzt schon auf verschlungenen Humor und hintergründige Pointen freuen, dargeboten in einer schnellen, detailfreudigen und ausgesucht literarischen Sprache.

Die Kombination zwischen Bodenhaftung und Musikalität der Sprache sei es, was ihn an dem jungen Kollegen so fasziniere, sagte Esterházy in zurückhaltender Bewunderung, bevor er sich seinem eigenen Werk zuwandte. Anders als angekündigt las er nicht aus „Einführung in die schöne Literatur“, die im nächsten Frühjahr erscheint. Seine „Deutschlandreisen im Strafraum“ entpuppten sich dann aber auch als eine besondere Art der Literaturgeschichte. Esterházy kann wahrscheinlich gar nicht anders, als seine Kenntnis der Weltliteratur mit alltäglichen Beobachtungen zu kombinieren und hohe literarische Theorien in ungewohnten Kontext zu setzen. Und wenn es der rotschotterige Fußballplatz ist, an den er sich mit der verführerischen Ramona begibt. Concordia vor, noch ein Tor, brüllt die Schöne zum Erstaunen des Nichtkenners, der immerhin mit seinem Fußballbruder Eindruck machen kann. Assoziativ springt der Autor an unterschiedliche Schauplätze und versucht immer wieder, typisch Deutsches zu beobachten. Dabei interpretiert er etwa das brave Stehenbleiben bei roter Ampel als charakteristisch deutschen Gehorsam, das Ignorieren des Verkehrslichtes dann aber als freiheitlichen Einfluss der 68er. Als er den Auftrag erhält, mit Heidi Klum zusammenzutreffen, um eine Reportage „Friedenspreis trifft Heidi Klum auf dem Seziertisch“ zu verfassen, muss er sich erst kundig machen, wer denn diese Heidi Klum sei. Vielleicht eine berühmte Speerwerferin, so spekuliert er, um während des halbstündigen Telefonats keine genaue Kenntnis zu erhalten und beleidigt abzulehnen. Aber Heidi Klum lässt ihn ebenso wenig los wie das „typisch Deutsche“, das er natürlich auch in der Ordnungsliebe der Kellnerin erkennt, die aber – „Unterbeobachtung“ – „einen tollen Arsch“ hat. So springt er wild zwischen Kutteln und Regenschirmen, von Thomas Mann zu Orhan Pamuk und wieder zur schönen Ramona, dass die zahlreichen Zuhörer am Samstagabend sich literarisch belohnt fühlen konnten. Und die Erkenntnis hatten: (Alle) Ungarn sind gute Literaten. Lore Bardens

Lore Bardens

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