Kultur: Holländischer Skurrilismus
In der Seestraße trafen sich Spiderman und Paul Klee / Eine Ausstellung mit Arbeiten von Menno Veldhuis
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In der Seestraße trafen sich Spiderman und Paul Klee / Eine Ausstellung mit Arbeiten von Menno Veldhuis Von Matthias Hassenpflug Oft ist große Kunst sehr ernst. Und manchmal haben Künstler auch wirklich Unsinn im Kopf. Der junge Holländer Menno Veldhuis hatte, ungefähr vor drei Monaten, als er im Künstler- und Gründerzentrum in der Seestraße sein kleines Hinterhofatelier bezog, plötzlich eine ziemlich skurrile Idee. Was wäre wohl, wenn Paul Klee, der große geometrische Vereinfacher und Schöpfer von abstrakten, farbmagischen Figurentableaus, auf Spiderman getroffen wäre, den Comic-Helden mit Spinnengenen? Veldhuis Ausstellung seiner zwölf Arbeiten zu diesen imaginären Begegnungen, die nun bis zum 18. September im Pavillon zu sehen sind, wirkt auf den ersten Blick unsinnig, auf den zweiten ernster und wesentlich tiefgründiger als angenommen. Die Größe kommt sozusagen durch die Hintertür, von Veldhuis kreativem Gespür für Bezüge, Formen und Farben vielleicht eher erahnt. Veldhuis Ausgangspunkt seines genialischen Gedankens war die Erkenntnis, dass sowohl für Paul Klees Kompositionen als auch für Spidermans Abenteuer der Gebrauch der Linie entscheidend war, sie war, wie Veldhuis sagt, „das Netz ihres Schaffens.“ Klees romantische Abstraktionen faszinieren heute durch die von den französischen Kubisten beeinflusste damals neuartige Raumwahrnehmung. Die Linie ist der Schlüssel, um Farbflächen und figurativen Elementen eine schöpferische Ordnung zu geben und sie zusammen zu halten. Durch seine Superkraft, die aus seinen Fingerspitzen heraus schnellenden Spinnenfäden, kann auch Spiderman, wie Klee, sich im Raum ohne Rücksicht auf die Naturgesetze bewegen. Diese theoretischen Korrespondenzen ließen Menno Veldhuis nicht zur Ruhe kommen. Er füllte zunächst diverse Skizzenbücher mit Zeichnungen. Diese kleinen Blätter erzählen, wie in einem Comic, von kurzen Begegnungen zwischen den Helden. Man sieht „Spiderman, malend“, wie ihm die Spinnenfäden noch etwas unbeholfen aus den Fingern auf das Papier rinnen, oder wie Spiderman zu Klee auf „Hausbesuch“ kommt und dem Meister Fäden anstatt Blumen entgegen spritzen. Hier mag Veldhuis“ Fantasie ziemlich herumgetobt sein. Erstaunlich ist jedoch, dass sich im zeichnerischen Werk Klees ganz ähnliche reduzierte Geschichten finden lassen. Veldhuis nähert sich seinem Vorbild zugleich zitierend wie auch ironisierend. Er porträtiert ihn, um ihn in seinen absurden, auf Populär- und Alltagskultur gründenden Spiderman-Begegnungen zugleich zu entheroisieren, ihn zu dekonstruieren. Veldhuis Bilder sind so auch Ausdruck der Auseinandersetzung eines jungen Künstlers mit der Übermacht der Kunstgeschichte. Wo ist noch Raum, zu seiner eigenen Kreativität zu finden, wenn Heroen wie Klee, Picasso, Beckmann oder Beuys die Möglichkeiten von Technik, Form und Farbe bis an ihre Grenzen geführt zu haben scheinen? Wenn Veldhuis auf einem der Ölgemälde die Köpfe von Klee und Spiderman nebeneinander in einer Glasvitrine darstellt wie zwei Masken oder Trophäen, so zeigt das zweierlei. Zum einen, dass Comicfigur und geachteter Künstler heutzutage das gleiche Schicksal erfahren, indem sie zu Ikonen der Popkultur erstarren. Zum anderen führt Veldhuis wieder per Zitat in das Werk von Klee hinein. Denn viele Figuren, auch Selbstporträts von Klee nehmen das Motiv der Maske auf. Spidermans Gesichtshaut wiederum ähnelt, das zeigt nun ein weiteres ins Abstrakte gehende Bild von Veldhuis, tatsächlich einigen von Klees Köpfen eklatant (z.B. dem Selbstporträt „Versunkenheit“ von 1919). Zitat, Brechung ins Triviale, Verweis. Menno Veldhuis hat sich in einen Rausch gemalt, der noch nicht beendet ist. Spiderman auf einer „Brücke“, ein Klee Porträt im klee“schen Stil, ein großes Format, auf dem Klee Pfeife schmauchend unter einem Baum liegt, gemalt mit der Farbgewalt und in der Bildaufteilung des Expressionismus. Klee, dessen Bilder von den Nazis als „entartete Kunst“ verboten wurden und der vor ihnen in die Schweiz flüchten musste, hätte einen Kämpfer für Gerechtigkeit wie Spiderman bestimmt gut an seiner Seite brauchen können. Auch das eine ernste Dimension dieser kleinen Schau des „holländischen Skurrilismus“ von Menno Veldhuis.
Matthias Hassenpflug
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