Kultur: Hommage an einen Vergessenen Erste umfassende
Paul Graener-Biografie
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„Er hielt mich für begabt, aber faul und riet mir dringend, mich auf die Hosen zu setzen und tüchtig zu lernen“, überlieferte der 1872 in Berlin geborene Komponist Paul Graener, nachdem ihm Johannes Brahms nach der Durchsicht einiger Probestücklein wohlwollende Worte mit auf den weiteren künstlerischen Weg gab. „Wenn Sie nicht arbeiten, was das Zeug hält, so wär’s eine Schand’“. Es wurde keine, vielmehr reifte der musikfrühbegabte Paul Graener zu einem der namhaftesten und einflussreichsten Komponisten, Dirigenten, Hochschullehrer und Musikpolitiker in Deutschland. Er besuchte weder ein Gymnasium noch Konservatorium, schloss ein Universitätsstudium nicht ab, sondern ging als Kapellmeister in die Praxis. Das Ergebnis: 12 Bühnenwerke, über 200 Lieder, zahlreiche sinfonische, chorsinfonische und kammermusikalische Werke. Sie wurden zwischen 1920 und 1940 häufig aufgeführt.
Nach 1945 verschwanden sie aus den Konzertsälen und Opernhäusern, und der Komponist fiel in völlige Vergessenheit. Einerseits bedingt durch dessen politische Verstrickungen zum nationalsozialistischen Regime (u. a. als Vizepräsident der Reichsmusikkammer), andererseits durch die Wandlung des Zeitgeistes, der tonaler Seelenerbauung abschwor und sich stattdessen an Avantgardistischem erfreute. Diese unproduktive Haltung zum Überlieferten könnte und sollte sich mit der in Buchform veröffentlichten Dissertation „Zwischen Musik und Politik“ des Potsdamer Musikwissenschaftlers und Dirigenten Knut Andreas ändern, die einer Wiedergutmachung an einem zu Unrecht dem musikalischen Gedächtnis Entschwundenen gleichkommt. Vielleicht entdeckt man aus Anlass der Feierlichkeiten zu Friedrichs 300. Geburtstag Graeners Suite „Die Flöte von Sanssouci“ wieder?!
Durch sein Wirken in England, Österreich und vielen Städten Deutschlands (u. a. Berlin, Leipzig, München, Dresden) hat Paul Graener zahlreiche Spuren hinterlassen. Viele davon sind jedoch durch die Kriegswirren verloren gegangen. Andere hat der Autor in mühseliger Kleinarbeit in Archiven und Bibliotheken wieder entdeckt. Entstanden ist so zum ersten Mal eine umfassende Studie über die verschlungenen Lebenswege, Schaffensprozesse, stilistischen Eigenarten, musikpädagogische wie gesellschaftspoltische Ansichten Paul Graeners. Die fachlich fundierte Publikation ist überschaubar aufbereitet, vortrefflich gegliedert (biografischen Abschnitten folgen werkanalytische Betrachtungen), verständlich und flüssig geschrieben. Die Liebe zu seinem Gegenstand spürt man auf jeder Seite seiner lesenswerten, mit Notenbeispielen angereicherten Darlegungen. O-Töne von Graener sind typografisch hervorgehoben. Ein umfänglicher Anhang mit Zeittafel, nach Opuszahlen bzw. Gattungen geordnete Werkverzeichnisse, Auflistungen der vertonten Texte und Autographe, Literatur- und Personenverzeichnis machen das Suchen und Finden, das Stöbern und zielstrebige Entdecken zur großen Freude.
Peter Buske
Knut Andreas, „Zwischen Musik und Politik – Der Komponist Paul Graener (1872-1944)“, Frank & Timme Verlag für wissenschaftliche Literatur Berlin 2008, 446 S, brosch., 29.80 Euro.
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